«Wer kein Geld hat, kann beim Wohnen nicht sparen»
Die regionale Armutskonferenz widmet sich dem Thema «Wohnen und Armut». Domenico Sposato, Geschäftsleiter der Caritas beider Basel, erklärt, warum Wohnen ein Armutsrisiko ist und was sich an der politischen Debatte ändern muss.
Domenico Sposato, warum wird bei der Armutskonferenz der Fokus auf das Thema Wohnen gelegt?
Wohnen und Armut werden selten bis nie direkt miteinander angeschaut. Die Wohndebatte ist allgegenwärtig, aber dass sie explizit mit Armut gekoppelt wird, passiert zu wenig.
Inwiefern ist Wohnen ein Risikofaktor für Armut?
Wohnen ist ein Bedürfnis, das alle haben. Das ist kein Konsumgut, auf das man verzichten kann, wenn man wenig Geld hat, wie auf den Besuch im Kino oder im Restaurant. Beim Wohnen könnte man sich höchstens einschränken, indem man in eine kleinere Wohnung zieht – aber ich kann mich nicht einschränken, indem ich nicht mehr wohne.
«Wenn man keine neue Wohnung findet, dann spart man sich das irgendwo anders ab, macht noch günstigere Einkäufe, lebt ungesund. Es ist ein unfreiwilliger Verzicht.»Domenico Sposato, Geschäftsleiter der Caritas
Es geht Ihnen also nicht um Obdachlosigkeit?
Nein, es geht um Wohnen als Armutsthema. Es geht um Menschen, die wenig Geld haben – beispielsweise Sozialhilfe oder woorking poor – die mit ihrem Einkommen die hohen Mietkosten kaum zahlen können. Auch wenn es sich um Wohnungen handelt, die sonst niemand will: Es ist sehr laut oder schlecht isoliert oder es gibt Schimmel.
Was für Gründe gibt es, dass sich Menschen Ihre Wohnung nicht mehr leisten können?
Wenn alles teurer wird, wird es einfach schwieriger: Die Krankenkassenprämien steigen, die Stromkosten, die Preise im Supermarkt.
Ist Umziehen keine Option?
Das ist der nächste Punkt: Es geht um arbeitslose Menschen und Working Poor. Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Vermieter sich bei der Wohnungsbesichtigung für jemanden mit einem Einkommen von 3’500 Franken entscheidet? Wenn man keine neue Wohnung findet, dann spart man sich das irgendwo anders ab, macht noch günstigere Einkäufe, lebt ungesund. Es ist ein unfreiwilliger Verzicht. Und es führt zu Isolation, das ist auch ein Armutsphänomen.
Welche Unterstützung bietet Caritas für Menschen in diesen Situationen?
Unser Handlungsspielraum ist gering. Klar können wir die Ausgaben- und Einnahmenseite anschauen und Verbesserungen vorschlagen. Aber als Nichtregierungsorganisation kann ich nicht viel machen. Es ist ein strukturelles Phänomen und das muss man sich bewusst machen.
Aber was raten Sie armutsbetroffenen Menschen, die eine Wohnung suchen?
Was sagt man jemanden, der kein Geld hat? Da kann man nicht viel raten, das ist das Problem. In Basel-Stadt gibt es wenigstens noch die IG Wohnen, die bei der Wohnungssuche unterstützt. Es gibt Mietzinsbeiträge. Aber diese sind kompliziert zu beantragen, zum Teil funktionieren sie nur suboptimal. Und man muss sich bewusst sein, dass Mietzinsbeiträge auch steigende Wohnkosten finanzieren. Wenn Wohnen zu einem so breiten Problemfeld wird, muss man sich fragen, ob das Tool wirklich so wirkungsvoll ist.
Sie äussern Kritik an der sogenannten Subjektivhilfe, also der Unterstützung der Individuen durch Mietzinsbeiträge. Sollte man also mehr auf Objekthilfe setzen, also die Förderung von gemeinnützigen Wohnraum?
Wir brauchen beides: Subjekt- und Objekthilfe. In Basel-Stadt ist das ja schon relativ fortgeschritten. Im Baselbiet haben sich nur einzelne Gemeinden der Objekthilfe angenommen. Aber man muss sich bewusst sein, dass man dem Grundbedürfnis der Bewohnerinnen und Bewohner, der Einwohner eines Kantons, nicht mehr gerecht wird, wenn man nur Subjektförderung leistet.
«Die Konferenz soll vor allem beleuchten: Wohnen ist wie eine private Form des öffentlichen Raums und damit ein Grundbedürfnis, das allen zusteht.»
Müsste man nicht zuerst an der hohen Nichtbezugsquote arbeiten? Auch in Basel-Stadt beziehen 30 Prozent der Anspruchsberechtigten keine Sozialhilfe.
Erwachsene Personen wollen in der Regel selbständig entscheiden und sich nicht bevormunden lassen. Rein vom Setting her fordert die Sozialhilfe von einem Menschen eine hohe Rechenschaftspflicht und Pflicht, sich sehr konform und normativ zu bewegen. Daran ist nicht die Sozialhilfe schuld und sie ist nicht per se schlecht. Aber das Stigma, das daran gekoppelt ist, das ist schlecht: Man ist faul oder ein Versager.
Dann geht es bei der Armutskonferenz darum, Politik und die Gesetzeslage kritisch zu hinterfragen?
Wir wollen aufzeigen, dass die Wohndebatte eine gewisse Breite in den Betrachtungsweisen braucht. Im Moment findet eine Links-Rechts-Debatte statt, die stark politisch aufgeladen ist zwischen dem Lager, das nichts regulieren will, und jenem, das alles verstaatlichen will. In der Realität finden sich diese Extrempositionen wahrscheinlich nicht so. Die Konferenz soll vor allem beleuchten: Wohnen ist wie eine private Form des öffentlichen Raums und damit ein Grundbedürfnis, das allen zusteht.