Debatte über den «Spaltpilz Musikinitiative»

Die Musikvielfaltsinitiative löst intensive Diskussionen in der Kulturszene aus – und darüber hinaus, wie unsere Frage des Tages zeigt. Das sind die Argumente der Debatte von Spaltung über Chancen bis zu falschen Versprechungen.

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Die Debatte um die Musikvielfaltsinitiative wird engagiert geführt. (Bild: Collage: Bajour)

Alle, die im vergangenen Wahlkampf für die Gesamterneuerungswahlen eine leidenschaftliche Streitkultur vermisst haben, dürften in den nächsten Wochen auf ihre Kosten kommen. Nicht wegen des zweiten Wahlgangs, sondern wegen der Abstimmungen. Ein Thema, über das Basel schon jetzt emotional streitet, ist die Kulturförderung.

Aktuelles Stichwort: Musikvielfaltsinitiative. Wie gross dabei das Diskussionsbedürfnis ist, zeigt sich auch bei Bajours Frage des Tages. In der Debatte gab's nicht nur vorverfasste, sich wiederholende Pro- und Contra-Statements, sondern Rückfragen, Wünsche, Forderungen an Musiker*innen, Vertreter*innen von Institutionen und Politiker*innen, die sich an der Diskussion beteiligten.

Der Knackpunkt der Diskussion: Die Initiative ist unformuliert. Sie gibt also nicht vor, ob das Kulturförderbudget des Kantons erhöht werden soll – oder ob das aktuelle Budget so umverteilt wird, dass ein Drittel nicht mehr den bisher geförderten Institutionen, sondern freien Musikschaffenden zugutekommt.

«Was braucht die Basler Musikförderung?», haben wir also gefragt. Nachfolgend eine Auswahl interessanter Argumente für und gegen die Initiative aus unserer Debatte. Es geht um die Frage, wer wen spaltet und wessen Existenz mit und ohne Initiative bedroht ist. Und es geht um Chancen, Risiken und (falsche?) Versprechen, die eine unformulierte Initiative wie die vorliegende mit sich bringt.

Argumente der Befürworter*innen


Evoto
«Die aktuelle Situation ist, dass wir eine zweigeteilte Szene haben. Die einen, die von grosszügigen Subventionen profitieren. Und die anderen, die beinahe leer ausgehen.»
Ronni Buser, Leiter Musikschule und Musiker

Ronni Buser

Endlich könnte die Spaltung abgeschafft werden

Immer wieder lese und höre ich, dass die Initiative die Musik-Kulturszene spaltet. Aber hei, die aktuelle Situation ist, dass wir eine zweigeteilte Szene haben. Die einen, die von grosszügigen Subventionen profitieren. Und die anderen, die beinahe leer ausgehen. Wenn die Fördergelder in Zukunft gerechter auf die Musikschaffenden in Basel aufgeteilt werden, dann können diese endlich vereint und noch stärker zusammen an der positiven musikkulturellen Ausstrahlung unserer Stad wirken. In diesem Sinn: Basel für alle und alle gerecht gefördert für Basel! Darum ein JA zur Initiative.

Katharina Good
«Anstatt zu beklagen, dass Arbeitsplätze gefährdet sein könnten, lasst uns darauf blicken, was mit zusätzlicher (!) Förderung möglich wird!»
Katharina Good, SP und Visarte Region Basel

Katharina Good

Gemeinsam für eine vielfältige Kulturszene

Ich bedauere, dass immer wieder der Vorwurf einer angeblichen Spaltung laut wird. Gleichzeitig äussern wir uns nun doch (fast) alle dafür, dass Freischaffende endlich besser gestellt werden sollten – was Fördermöglichkeiten, Beratungs- und Netzwerkangebote angeht. Als Person, die sowohl freischaffend wie auch in einer kleinen Institution mit Leistungsvereinbarung geleitet habe, weiss ich um die Herausforderungen beider Seiten. Anstatt zu beklagen, dass Arbeitsplätze gefährdet sein könnten, lasst uns darauf blicken, was mit zusätzlicher (!) Förderung möglich wird! Denn wer nun gegen die Musikvielfalt ist, ist schlicht gegen die Vielfalt in Basel – und wer bei einem JA eine Aufstockung ablehnt, ist gegen die klassische Musik.

Juriaan Cooiman
«Der Status quo ist seit jeher eine Spaltung der Gesellschaft, historisch gewachsen aus einer bürgerlichen Souveränität in der Leitkulturdebatte.»
Jurriaan Cooiman, Direktor Culturescapes

Jurriaan Cooiman

Von und Für Alle!

Der Status quo ist seit jeher eine Spaltung der Gesellschaft, historisch gewachsen aus einer bürgerlichen Souveränität in der Leitkulturdebatte. Dass 90% des Musikbudgets an 10% der Musikkonsumenten geht, ist allen klar. Es ist wie vor 10 Jahren mit dem Buch Kulturinfarkt von Pius Knüsel u.a.: Wollen wir, dass es immer so weiter geht und die Verteidigung der Privilegierten oberstes Gebot ist? Was ist mit Kultur von und für alle? Die Chance, jetzt vieles neu zu denken, was durch einen kanonisierten Kulturbegriff diese Ungerechtigkeit weiter aufrechterhält. Diese Veränderung wird auf jeden Fall kommen, so wie unsere Gesellschaft schon lange von der Migration profitiert, so wird sich auch die Kultur davon weiter entwickeln können und wer weiß für uns jetzt noch ungeahnte Früchte tragen. Also Ja und zwar klar und deutlich.

Nussbaumer_Melanie_quadrat
«Aufgrund der Voten im Parlament zur Musikvielfaltsinitiative ist völlig klar, dass niemand im Rathaus Geld umverteilen will.»
Melanie Nussbaumer, SP-Grossrätin

Melanie Nussbaumer

Alles halb so schlimm

Bei einer unformulierten Initiative geht es darum, dass wir einem Grundsatz zustimmen. Wollen wir mehr Freischaffende unterstützen? Wollen wir mehr Vielfalt fördern? Für mich ist klar: Ja! Erst nach einer allfälligen Annahme der Initiative wird die genaue Ausgestaltung des Anliegens geklärt. Das ist der normale politische Prozess. Dazu gehört auch, dass die Umsetzungsvorlage noch mindestens einmal durch den Grossen Rat geht. Aufgrund der Voten im Parlament zur Musikvielfaltsinitiative ist völlig klar, dass niemand im Rathaus Geld umverteilen will. Die bisherigen Institutionen wurden massiv und mit einer klaren Mehrheit verteidigt. Diese Lobby wird auch nach Annahme stark bleiben. Die Angstmacherei der Gegner:innenschaft ist deshalb völlig übertrieben und an den politischen Realitäten vorbei geredet. Fallen wir nicht darauf rein.

Musikvielfalt-Podium
Du willst noch mehr Debatte?

Komm ans Podium am 30. Oktober um 19 Uhr im kHaus. Wir diskutieren mit Vertreter*innen aus Kultur und Medien.

zur Anmeldung

Argumente der Gegner*innen


Marcel Falk
«Mit der Musikvielfaltsinitiative ist die minimale öffentliche Basisfinanzierung des Kammerorchesters bedroht.»
Marcel Falk, Direktor Kammerorchester Basel

Marcel Falk

Spaltpilz Musikvielfaltsinitiative

Der Wunsch nach grösserer finanzieller Unterstützung für die freie Szene, auch in der Musik, ist nachvollziehbar. Das Kammerorchester Basel unterstützt dies, jedoch nicht auf Kosten bestehender Strukturen. Die Musikvielfaltsinitiative spaltet die Musikstadt Basel, indem sie eine Umverteilung bestehender Mittel fordert, anstatt das kantonale Musikbudget zu erhöhen. Das gefährdet bewährte Strukturen und die Existenz freischaffender Musiker:innen.

Das Kammerorchester Basel trägt mit etwa 100 Konzerten jährlich in Basel und weltweit wesentlich zum Ansehen Basels bei und beschäftigt dafür 48 Musiker:innen auf projektbezogener Basis, dazu etwa 140 weitere Freischaffende p.a. Mit der Musikvielfaltsinitiative ist seine minimale öffentliche Basisfinanzierung bedroht. Daher sagen wir entschieden Nein zur Musikvielfaltsinitiative.

Ulrike Mann
«Die Initiative kommt bunt daher, kann aber nicht halten, was sie verspricht, weil sie unausgegoren, widersprüchlich und in ihren Konsequenzen nicht zu Ende gedacht ist.»
Ulrike Mann, Kontrabassistin Sinfonieorchester Basel

Ulrike Mann

Die Initiative kann nicht halten, was sie verspricht

Wer sich für eine vielfältige Musikförderung und für freischaffende MusikerInnen in Basel einsetzen möchte und die Texte des Initiativkomitees tatsächlich bis zum letzten Satz durchliest, kann nur mit «NEIN» auf diese Initiative reagieren.

Statt zusätzliche Gelder für die Freischaffenden einzufordern, wird mit dem Statement «Vielfältige und faire Förderung muss möglich sein mit dem Geld, das heute da ist.» eine Umverteilung des bestehenden Subventionsbetrags zugrundegelegt.

Dies hätte ganz besonders für Freischaffende, die zB in Orchestern wie der Sinfonietta, Kammerorchester Basel, Phoenix-Ensemble, La Cetra oder dem Sinfonieorchester Basel tätig sind verheerende Folgen, da diese Ensembles mit um ein Drittel gekürzten Subventionen nicht mehr existieren können, bzw aufgrund massiver Stellenkürzungen im Sinfonieorchester Basel MusikerInnenarbeitsplätze vernichten.

Die Initiative kommt bunt daher, kann aber nicht halten, was sie verspricht, weil sie unausgegoren, widersprüchlich und in ihren Konsequenzen nicht zuende gedacht ist. Das ist nicht nur schade für das eigentliche, unterstützenswerte Anliegen der Musikvielfalt, sondern brandgefährlich für die Freischaffenden und die Kulturstadt Basel.

Dan Wiener
«Sie haben das Geld, dass die freie Musikszene erhalten soll, in Relation gesetzt zu den Subventionen, die etablierte Institutionen bekommen. Damit haben sie einen Streit innerhalb der Kulturszene entfacht, was an sich schon kontraproduktiv ist.»
Dan Wiener, Kulturunternehmer- und berater

Dan Wiener

Leider falscher Ansatz

Die sehr engagierten Personen, die die Initiative lanciert haben, und damit ein durchaus wichtiges und relevantes Thema auf's Tapet gebracht haben, haben aus meiner Sicht zwei grosse Fehler gemacht: Sie haben das Geld, dass die freie Musikszene erhalten soll, in Relation gesetzt zu den Subventionen, die etablierte Institutionen bekommen. Damit haben sie einen Streit innerhalb der Kulturszene entfacht, was an sich schon kontraproduktiv ist. Zudem übersehen sie offenbar die Tatsache, wie prekär die Finanzlage auch für die stärker subventionierten ist. Und sie haben es ausserdem verpasst konkreter aufzuzeigen, wo konkret mehr Geld eingesetzt werden sollte. Schade, aber für mich sind das die ausschlaggebenden Gründe «nein» zu stimmen.

Johannes Sieber (GLP) ist der am ausgeglichendsten abstimmende Grossrat.
«Ein Volks-Ja zur Initiative muss sowohl als Auftrag für eine Aufstockung, als auch als Auftrag für eine Umverteilung verstanden werden. Das Resultat: ein Kompromiss, was Kürzungen bei Kulturinstitutionen zur Folge hat.»
Johannes Sieber, Grossrat GLP

Johannes Sieber

Unsorgfältige Initiative

Diese Initiative fordert einen starren Verteilschlüssel der Förderung von Kulturinstitutionen und freiem Musikschaffen. Sie lässt bewusst offen, ob es zu einer Aufstockung oder zu einer Umverteilung der Mittel kommen soll. Das führt in ein kulturpolitisches Dilemma: Es gibt Stimmberechtigte, die stimmen Ja und wollen eine Aufstockung. Andere stimmen Ja mit dem Ziel einer Umverteilung. Ein Volks-Ja zur Initiative muss sowohl als Auftrag für eine Aufstockung, als auch als Auftrag für eine Umverteilung verstanden werden. Das Resultat: ein Kompromiss, was Kürzungen bei Kulturinstitutionen zur Folge hat. Davon betroffen sein können alle. Von Theater & Orchester über Kaserne Basel bis zum Musikbüro und der Clubförderung. Kürzungen bei hart erkämpften und stets gemeinsam verteidigten Budgets unserer Institutionen, um exklusiv das freie Musikschaffen zusätzlich zu fördern – während das freie Theater/Tanz-, Literatur- und Kunstschaffen leer ausgeht. Eine durch und durch unsorgfältige Initiative.

Enthaltungen


Neben der stark Pro- und Contra-geführten Debatte gibt es auch Stimmen, die sich bewusst enthalten. Dazu gehört das Netzwerk Kulturpolitik, das auf eine Stellungnahme zur Abstimmung verzichtet, weil der Grosse Rat der Initiative keinen Gegenvorschlag entgegengestellt hat. Das Netzwerk hat 18 Mitglieder, darunter zum Beispiel das Gare du Nord, das Musikbüro Basel, das Kammer- und das Sinfonieorchester. In einer Stellungnahme vom Juni schreibt das Netzwerk, das sich als «proaktive kulturpolitische Lobbygruppe» versteht: «Unter dem Dach des Netzwerks bilden sich sehr vielfältige Interessen ab, für die eine Annahme der Initiative unterschiedliche Auswirkungen haben könnte. Eine allfällige Umsetzung der Initiative müsste aus Sicht des Netzwerks aber zwingend durch eine Erhöhung des Budgets finanziert werden.» Unabhängig vom gemeinsamen Statement des Netzwerk Kulturpolitik beziehen die einzelnen Mitglieder aber sehr wohl Position – einige auf der Pro und andere auf der Contra Seite.

Die Kaserne Basel gehört zum Netzwerk und positioniert sich explizit nicht. In einem eigenen Statement schreibt sie: «Der Wunsch nach einer Erhöhung der Budgets für die freie Musikszene ist für uns nachvollziehbar. Eine stärkere Förderung des freien Musikschaffens darf aber nicht zulasten der bestehenden institutionellen Strukturen gehen, die bereits die freie Musikszene präsentieren. Freie Musikschaffende sollen weiterhin in staatlich adäquat unterstützten Institutionen, wie der Kaserne, auftreten können. Sonst zielt der Vorstoss an einer umfassenden Musikförderung von Institutionen und freien Musikschaffenden vorbei.»

Der 24. November wird zeigen, welche Argumente die Basler Stimmbevölkerung am meisten überzeugen. In der Frage des Tages sprechen sich knapp 50 Prozent der abstimmenden Bajour-Leser*innen für eine Aufstockung des Musikförderbudgets aus. Doch wenn die Initiative angenommen würde, dürften vor diesem Schritt noch weitere intensive Diskussionen folgen.

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Das ist Michelle (sie/ihr):

Nach einem Masterstudium in Geisteswissenschaften und verschiedenen Wissenschafts- und Kommunikations-Jobs ist Michelle bei Bajour im Journalismus angekommen: Zuerst als Praktikantin, dann als erste Bajour-Trainee (whoop whoop!) und heute als Junior-Redaktorin schreibt sie Porträts mit viel Gespür für ihr Gegenüber und Reportagen – vorzugsweise von Demos und aus den Quartieren. Michelle hat das Basler Gewerbe im Blick und vergräbt sich auch gern mal in grössere Recherchen. 


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