Am zähen Klang hört die Bäckerin, wenn der Teig zu wenig Wasser hat
Mit viel Liebe zeichnet Autorin Mariann Bühler in ihrem Debütroman die Leben ihrer drei Protagonist*innen nach. Im Gespräch mit Kulturjournalistin Esther Schneider verrät Bühler, dass ihre Figuren ihr so sehr ans Herz gewachsen sind, dass sie manchmal schlaflose Nächte hatte – aus Sorge um sie.
Drei Leben, drei Geschichten – die Autorin Mariann Bühler erzählt in ihrem Roman mit dem Titel «Verschiebung im Gestein» von drei Menschen, die alle aus dem gleichen Dorf stammen. Alle drei tragen eine Bürde mit sich und stehen an einem Punkt, an dem sich eine Veränderung aufdrängt. Stillstand geht nicht mehr.
«Verschiebung im Gestein» ist eine Milieustudie über wortkarge Menschen, die mit grosser Hinwendung ihre tägliche Arbeit verrichten. Ein stiller Roman und ein Debüt, mit dem es Mariann Bühler auf die Shortlist des Schweizer Buchpreises geschafft hat, der am nächsten Sonntag in Basel verliehen wird. Esther Schneider hat die Autorin zum Gespräch getroffen.
Mariann Bühler ist Autorin, Literaturvermittlerin und Kulturveranstalterin. Sie hat das Projekt Sofalesungen initiiert und geleitet und ist auch sonst aktiv in der Literaturszene unterwegs. Für ihre literarischen Texte wurde sie schon mit mehreren Preisen ausgezeichnet. Mariann Bühler lebt seit vielen Jahren in Basel.
(Bild: Ayse Yavas)
Mariann, du bist eine engagierte Literaturvermittlerin und jetzt ist dein erster Roman da. Hast du die Seite gewechselt?
Nein, ganz und gar nicht. Die schreibende Seite in mir gibt es schon viel länger als die veranstaltende Seite. Aber sie hat einfach länger gebraucht, bis sie sich zeigen konnte. Ich habe nämlich schon als Teenager angefangen zu schreiben. Zuerst schrecklich kitschige Gedichte, wie sich das gehört. Später dann andere Texte, aber ich habe lange nicht getraut sie jemandem zu zeigen.
Jetzt hast du es gewagt und mit Erfolg. In vielen Besprechungen wird dein Buch als moderner Heimatroman bezeichnet. Kannst du damit was anfangen?
Ich frage mich, ob es die Kühe sind? (lacht) Oder weil die Geschichte in einem Dorf spielt? Ich habe keine Antwort darauf. Was ist Heimat? Am besten gefällt mir dazu ein Bild von einem Plakat, das mir eine Freundin geschickt hat. Da wird Heimat konjugiert. Also, ich heimate, du heimatest usw. Wenn wir Heimat als aktives Verb verstehen, bin ich mit der Zuschreibung Heimatroman einverstanden. Heimat ist dann etwas, das nicht einfach bleibt, wie es immer war, sondern als gesellschaftliches Ganzes aktiv gemacht wird und sich stets verändern muss. Das ist eine Anstrengung wert.
«Wir Menschen kommunizieren ja nicht nur mit Worten. Vielleicht müssen wir besser hinhören und hinschauen.»Schriftstellerin Mariann Bühler
Die Figuren im Roman wirken etwas verstockt. Sie reden nicht gern, woran liegt das?
Hm, da könnte man jetzt sagen, das ist die wortkarge Landbevölkerung. Aber das nervt mich. Wir Menschen kommunizieren ja nicht nur mit Worten. Vielleicht müssen wir besser hinhören und hinschauen. Vieles sagen wir in Gesten, in Tätigkeiten, auch in täglichen Verrichtungen bei der Arbeit. Das habe ich versucht zu zeigen und in Sprache zu fassen.
Oft werden Sätze angefangen aber dann verschluckt.
So sprechen wir im Alltag. Und wir machen es vielleicht auch aus Vorsicht. Wenn ich etwas nicht ganz ausspreche, habe ich es auch nicht ganz gesagt. Man kann mich also nicht dafür verantwortlich machen, aber angesprochen habe ich es trotzdem.
Auch Stille ist ein Thema.
Ja, es ist ein stiller Roman. Aber in den Köpfen der Figuren rattert es häufig, heftig und laut. Sozusagen ein Kontrast zur äusseren Stille.
«Meine Romanfiguren sind mir sehr ans Herz gewachsen. In der letzten Phase beim Schreiben konnte ich abends oft nicht einschlafen, weil ich mir um sie Sorgen machte.»Schriftstellerin Mariann Bühler
Und da ist auch eine provokative Langsamkeit. Deine Figuren bewegen sich bedächtig. Wolltest du gegen die allzu hektische und unachtsame Zeit anschreiben?
Ich beobachte die Figuren, zeige wie sie arbeiten, beschreibe ihre tägliche Routine. Das sieht aus wie ein vermeintlicher Stillstand, gerade weil es immer dieselben geübten Handgriffe sind. Aber genau das finde ich schön. Da schaue ich gern zu. Es braucht viel Erfahrungswissen, damit die Arbeit jeden Tag gelingt – und die Erfahrung ermöglicht immer wieder Anpassungen, damit die Arbeit unter sich verändernden Bedingungen gelingt. Das untergräbt den vermeintlichen Stillstand.
Wir kommen deinen Romanfiguren beim Zuschauen von täglichen Verrichtungen sehr nahe. Der Bäckerin beim Teigkneten, dem Bauern beim Melken.
Das hat vielleicht damit zu tun, dass ich sie immer besser kennengelernt habe und sie mir so sehr ans Herz gewachsen sind. In der letzten Phase beim Schreiben konnte ich abends oft nicht einschlafen, weil ich mir um sie Sorgen machte. Ich fragte mich, ob wohl alles gut kommt. Aber dann fand ich das auch absurd: Die existieren ja nur in meinem Kopf und einer Datei. Diese Nähe, die hat auch mich überrascht.
Das ganze Gespräch mit Mariann Bühler ist zu hören im Podcast LiteraturPur.
Am Samstag, 16. November 2024, findet im Rahmen der Buch Basel um 15.30 Uhr eine Lesung von Mariann Bühler zu «Verschiebung im Gestein» im Volkshaus statt. Mehr Infos und Tickets gibt es hier.