Wer vom Giftverkauf profitiert

Pflanzenschutzmittel, die in der Schweiz und in der EU verboten sind, werden in alle Welt verkauft. Eine gross angelegte Untersuchung legt nun das Ausmass dieses Handels offen. Europas grösster Exporteur: der Basler Agrochemiekonzern Syngenta.

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Lohnendes Geschäft: Syngenta verkauft Gift, das in der Schweiz längst verboten ist, in andere Weltteile. (Bild: Fabio Erdos)

Dieser Artikel ist zuerst am 10. September 2020 in Die Wochenzeitung WoZ erschienen, wir durften ihn übernehmen. Merci! Die WoZ gehört wie Bajour zu den verlagsunabhängigen Medien der Schweiz. Abonniere die WoZ hier und unterstütze ihre besonderen Recherchen.

Die Situation ist paradox: Während die Europäische Union und mit Abstrichen die Schweiz die strengsten Pestizidbestimmungen der Welt kennen, exportiert Europa jedes Jahr zig Tonnen verbotene Pflanzenschutzmittel in Länder mit laxen Vorschriften. Wie viel genau von wem wohin geliefert wird, das hat eine noch unveröffentlichte Untersuchung von Greenpeace und Public Eye zusammengetragen. Die beiden NGOs erstritten sich mittels Öffentlichkeitsgesetz den Zugang zu Tausenden Ausfuhrnotifikationen, in denen jede Lieferung einzeln aufgeführt ist.

Verantwortlich für den Handel mit den krankmachenden Chemikalien ist in der Schweiz einzig und allein der Basler Agrochemieproduzent Syngenta.

Zwischen 2017 und 2019 führte der Konzern 173 Tonnen hierzulande verbotene Pestizide aus, hergestellt allesamt im Walliser Werk in Monthey. Darunter befinden sich 125 Tonnen eines Insektizids namens Diafenthiuron, die 2017 nach Südafrika und Indien verschifft wurden. Das organschädigende Mittel soll im selben Jahr zu einer schweren Vergiftungswelle bei indischen Baumwollbäuer*innen beigetragen haben.

Ein Jahr später lieferte Syngenta 37 Tonnen des Insektizids Profenofos nach Brasilien. Das Nervengift ist eng mit dem Kampfstoff Sarin verwandt. Bäuer*innen, die es auf ihren Feldern versprühen, können schwerste Vergiftungen erleiden, Kinder bei regelmässigem Kontakt Gehirnschäden entwickeln. Dies sind nur zwei Beispiele für in der Schweiz längst verbotene Gifte, mit denen sich in anderen Weltteilen ein lohnendes Geschäft betreiben lässt.

Absurde EU-Landwirtschaftspolitik

Syngenta ist europaweit der grösste Exporteur hochgefährlicher Pestizide. Auch das geht aus den Recherchen hervor. Alleine vom im englischen Huddersfield produzierten Entlaubungsmittel Paraquat verkaufte das Unternehmen 2018 rund 28'000 Tonnen. Der effiziente Pflanzenkiller ist seit über einem halben Jahrhundert auf dem Markt. Die Weltgesundheitsorganisation WHO stuft Paraquat als giftigstes Pestizid der Nachkriegszeit ein, jüngste Untersuchungen aus den USA bringen es mit Parkinsonerkrankungen in Verbindung. Das Mittel ist in der Schweiz und in der EU seit langem verboten.

Syngenta erklärt auf die Frage, wie das Unternehmen den Export von Produkten legitimiere, die im Produktionsland verboten sind: «Sowohl in den Ländern, in denen wir produzieren, als auch dort, wo unsere Produkte für den Verkauf registriert sind, halten wir alle regulatorischen Vorgaben und Sicherheitsstandards ein.»

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Insgesamt vierzig verbotene Agrochemikalien exportierten Firmen aus der EU im untersuchten Jahr 2018 in die Welt, gesamthaft 81'000 Tonnen. Mehr als die Hälfte davon ging in ärmere Länder, nach Afrika, Südasien, Lateinamerika. Und nach Osteuropa, wo eine andere Absurdität der europäischen Landwirtschaftspolitik deutlich wird: So gingen Tausende Tonnen wahrscheinlich krebserregendes Acetochlor in die Ukraine, wo damit Ölsamen- und Weizenfelder behandelt wurden. Deren Erzeugnisse exportiert die Ukraine wiederum zurück in die EU, die den dreckigen Anbau ihrer Grundnahrungsmittel damit quasi ausgelagert hat.

Debatte im Nationalrat

Anders sieht es in der Schweiz aus. Dort wollte das Bundesamt für Umwelt zwar eine Bewilligungspflicht für derartige Exporte einführen, wobei diese nur aus der Einwilligung des Empfängerstaats bestanden hätte. Doch für Syngenta und ihren Lobbyverband Economiesuisse war selbst diese Formalität zu viel Regulierung. Weil auch Umweltverbände ablehnend reagierten, stoppte die Behörde das Projekt und wartet nun erst einmal die politische Debatte nächste Woche zu einem Vorstoss der grünen Ständerätin Lisa Mazzone ab, die ein Ende dieser Exporte fordert. (Anmerkung der Bajour-Redaktion: Der Vorstoss wurde vom Parlament behandelt, nun soll das Bundesamt für Umwelt BAFU weitere Abklärungen treffen.)

Syngenta kämpft an allen Fronten gegen die Verbote seiner Produkte.

Für die Nichtregierungsorganisation Public Eye ist die derzeitige Praxis unhaltbar. Sprecher Oliver Classen sagt: «Für Mensch und Natur in Entwicklungs- und Schwellenländern können unsere Doppelstandards tödlich sein. Deshalb braucht es in der EU wie in der Schweiz endlich rechtliche Konsistenz und politische Konsequenz. Was für unsere Felder zu giftig und gefährlich ist, ist es auch in weniger gut regulierten Regionen der Welt.»

Der Druck der Agrochemie auf die Behörden bleibt derweil hoch. Syngenta, mittlerweile in chinesischem Besitz, kämpft an allen Fronten gegen die Verbote seiner Produkte. Seit diesem Jahr ist der Gebrauch von Chlorothalonil europaweit untersagt, weil die EU das Fungizid und dessen Abbauprodukte als wahrscheinlich krebserregend einstuft und Wasserlebewesen sowie Honigbienen davon schwer geschädigt werden. Als die Schweiz nachzog, kündigte das Unternehmen Anfang 2020 an, vor dem Bundesverwaltungsgericht gegen das Verbot zu klagen. Dabei wird der Chlorothalonilgrenzwert auch hierzulande regelmässig überschritten: Schweizer Grundwasser, vor allem im Mittelland, ist massiv mit Rückständen des Stoffs belastet.

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