Ist Vladimir Petkovic schlicht zu gut?

Er steht für schönen, mutigen Offensivfussball und ist der erfolgreichste Schweizer Fussballnationaltrainer aller Zeiten. Doch Deutschschweizer Zeitungen wollen, dass es mit Vladimir Petkovic aufhört. Warum eigentlich?

Der Schweizer Nationaltrainer Vladimir Petkovic coacht die Schweizer Nationalmannschaft im Achtelfinal der Europameisterschaft 2020 am 28. Juni 2021 gegen den Weltmeister Frankreich. Die Schweizer gewinnen das Spiel nach einem 3:3 nach Verlängerung im Penaltyschiessen. Torwart Yann Sommer hält den Penalty geschossen von Kylian Mbappé.
Vladimir Petkovic coacht die Schweizer Nati ins Viertelfinale der EURO 2020. (Bild: Keystone)

Dieser Artikel ist zuerst am 28. November 2019 in Die Wochenzeitung WOZ erschienen. Er entstand nach der erfolgreichen Qualifikation der Schweizer Nationalmannschaft für die EURO 2020 Anlässlich des Einzugs der Schweiz ins Viertelfinale darf Bajour den Artikel übernehmen. Herzlichen Dank an die Kolleg*innen.

Die WOZ gehört wie Bajour zu den verlagsunabhängigen Medien der Schweiz. Hier kannst du die WOZ abonnieren und hier unterstützen.

__________

«Petkovic spaltet die Fussballschweiz», titelt der «Blick» am 20. November 2019. «Wir brauchen einen neuen Mann.» Und auch die NZZ findet: «Es fehlt etwas. Die Offenheit, die Wärme, Dinge, von denen Petkovic gerne redet, aber die er nur im Ausnahmefall so lebt, dass sie nicht nur für seine Spieler sichtbar werden.» Dasselbe Lied im «Tages-Anzeiger»: «Petkovic mag auf dem Platz stark sein, daneben ist er es nicht. Und das ist sein Problem, weil er vergisst, dass ein Nationalcoach mehr als nur Coach ist, er ist auch Vermittler zwischen Mannschaft und Öffentlichkeit.»

Um nicht den Eindruck zu erwecken, die Kampagne könnte ressentimentgeladen sein, sichert sich der «Blick» noch schnell ab: «20'000 haben auf Blick.ch innert weniger Stunden abgestimmt: 57 Prozent sind der Meinung, dass man nach der Endrunde im nächsten Sommer mit einem neuen Trainer einen Neuanfang machen soll.»

«Die Offenheit, die Wärme …»

Für alle, die nicht so fussballinteressiert sind: Die Schweizer Fussballauswahl hat sich am 18. November 2019 wieder einmal für eine Europameisterschaft qualifiziert. Seit Vladimir Petkovic das Team 2014 übernommen hat, hat es sich für jedes Grossturnier qualifiziert. Und dennoch arbeiten die führenden Deutschschweizer Medienhäuser gegen ihn.

Am 21. November 2019 will der «Blick» einen weiteren Skandal im «Dunstkreis von Petkovic» enthüllt haben: Der Sohn seines Assistenten soll einen Juniorennationalspieler per SMS in seine Spielerberateragentur gelockt haben!

Was die drei Sportredaktionen vorführen, ist exemplarisch für die zeitgenössische Mediengesellschaft: Personen im Scheinwerferlicht stehen unter Dauerbewertung. Allerdings nicht mehr primär dafür, wozu sie eigentlich zuständig sind, also etwa Taktik oder Trainingsmethodik. Vielmehr geht es um ihr Verhalten gegenüber der Öffentlichkeit. Und, im Fall von Petkovic: gegenüber Journalisten.

Denn diese – fast ausschliesslich männlichen – Medienleute verstehen sich offenbar als erste Verkörperung dieser «Öffentlichkeit». So im Stil: Was uns persönlich am persönlichen Umgang mit dieser Person nicht passt, missfällt auch der Bevölkerung. «Es fehlt etwas: die Offenheit, die Wärme …»: Man muss sich den Satz in Zeitlupe reinziehen. Das ist es also, was Sportjournalisten vom Nationaltrainer verlangen: «Offenheit und Wärme» – gegenüber Journalisten.

Spieler wie Xhaka, Shaqiri, Zakaria oder Embolo werden bei schönen Toren zwar frenetisch bejubelt. Zugleich wird eindringlich betont, wie schade es doch sei, dass immer weniger «echte Schweizer» mitspielten.

Doch in dieser Geschichte geht es um mehr. Deutlich wird das im Videokommentar von Andreas Böni, Fussballchef beim «Blick», in der Nacht vom 18. November 2019 nach dem 6 : 1-Sieg im Kleinstadion in Gibraltar, der die EM-Qualifikation besiegelte.

Zerzaust und leidvoll, als ginge es um eine griechische Tragödie, steht Böni auf dem leeren Rasen. Und als sei er das Medium für die Sorgen eines ganzen Landes, meint er, es sei «halt schon wahnsinnig viel passiert: die Doppeladler-Affäre, Valon Behrami, Xherdan Shaqiri – und die unterirdische Kommunikation des Trainers. Das Volk hat sich zum Teil von der Nati entfremdet».

Populismus aus der Provinzblase

Es ist ein düsteres Vokabular, das sich in Kommentaren rund um Petkovic und das Nationalteam einnistet – diese Equipe, die mehrheitlich aus Kindern von Eltern aus Exjugoslawien und aus afrikanischen Ländern besteht. Für einmal also hätten die Fussballjournalisten die Gelegenheit, die längst fällige Weltöffnung mit einzuläuten. Das aber scheint ihnen zu riskant.

Sie bedienen die bei vielen Fans noch immer verbreitete Sonderversion von Patriotismus: Spieler wie Xhaka, Shaqiri, Zakaria oder Embolo werden bei schönen Toren zwar frenetisch bejubelt. Zugleich wird eindringlich betont, wie schade es doch sei, dass immer weniger «echte Schweizer» mitspielten. Und dass kaum wer zur Nationalhymne die Lippen bewege.

Genau diese Fans bedient nun aber der «Blick» – auch wenn es inzwischen viele andere gibt, die selbst keine sogenannten Schweizer Wurzeln haben und sich womöglich bestens mit dem aktuellen Ensemble identifizieren. Doch nun ist grad auch der Coach kein Eingeborener mehr. Soll er sich doch wenigstens eidgenössisch benehmen! Ein wenig volkstümlich wie der verstorbene Köbi Kuhn und medienkuschelig wie Ottmar der Hitzfeld.

Komm ins Bajour-Team 💜

Petkovic aber lässt sich nicht in dieses Kostüm zwängen. Er bewahrt sich eine gewisse Weltläufigkeit, zuweilen etwas agentenhaft à la Daniel Craig. Mit einem Blick, der auch mal in die Weite schweift, als würde er eine neue Spielidee heranziehen sehen.

Petkovic, sein Hintergrund, sein Akzent, sein Auftritt – all das passt nicht in den Kragen der Deutschschweizer Fussballkritik. Ist es seine Coolness, die die Journalisten derart schlottern lässt in ihrer Sehnsucht nach einer gewissen Heimeligkeit? Oder gar Neid? Auf diesen Mann aus Sarajevo, der das Spiel nicht mitmacht, das darin besteht, mehr in das Provinztheater drum herum zu investieren, in die klebrige Halbwisserei in den Hotelbars, als in die Sache selbst? Ist Petkovic den journalistischen Berufsamateuren zu professionell?

Die Spieler stehen hinter ihm. Selbst Roman Bürki, der als Weltklassetorhüter von Borussia Dortmund klagen könnte, weil er im Nationalteam seit Jahren hinter Yann Sommer ansteht. Die Vorwürfe gegen Petkovic, sagte er in der «Berner Zeitung», seien für ihn «fast schon Hetzerei, weil es den einen oder anderen Schweizer womöglich stört, dass Petkovic kein Eidgenosse ist und nicht Röthlisberger oder so heisst». Dabei verbinde der Fussball «doch genau die Menschen unterschiedlicher Herkunft». Und: «Wenn Vladimir Petkovic kritisiert wird, weil sein Deutsch nicht perfekt ist, finde ich das abstrus. Er ist nicht verpflichtet, jeden Wunsch der Medien zu erfüllen.»

«Ich arbeite nicht für die Medien. Ich arbeite für den Verband, für den Schweizer Fussball, für meine Spieler.»
Vladimir Petkovic

Gibraltar, November 2019, wenige Tage vor der Qualifikation für die EURO 2020. Wie meist an Auswärtsspielen logierten sie alle im selben Hotel: die Fussballkorrespondenten der wenigen verbliebenen Medienhäuser. Je einer von Ringier, Tamedia, NZZ und CH Media sowie der Schweizerischen Depeschenagentur. Die Korrespondent*innen der französischsprachigen Medien sind anderswo einquartiert.

Man bleibt unter sich. Und dann kommt einer wie damals auf dem Kinderspielplatz aus einem anderen Quartier – und kann es besser. Der andere. Vladimir Petkovic, siebensprachig, der sich zum Entsetzen der Deutschschweizer Reporter auch noch erdreistete, im Tessin eine Pressekonferenz in der Landessprache Italienisch zu geben. Geboren 1963 in Sarajevo. Jusstudent. Halbprofi beim FK Sarajevo. 1987 der Transfer zum FC Chur.

Schlecht bezahlter Berufsfussballer in Sion, Martigny, Bellinzona und Buochs. Caritas-Sozialarbeiter im Tessin, ab 1997 nebenamtlich Trainer in Bellinzona, bei Malcantone Agno und ab 2005 hauptamtlich wieder in Bellinzona. Aufstieg in die höchste Liga und Einzug in den Cupfinal.

Von 2008 bis 2011 Trainer bei den Berner Young Boys und bis 2012 von Samsunspor in der Türkei. 2012: FC Sion. 2013: Lazio Roma, italienischer Pokalsieg. Und dann, 2014: die Wahl zum Nationaltrainer. EM 2016, WM 2018, EM 2020. Der erfolgreichste «Nati»-Trainer aller Zeiten.

Fertig, Kuschelparty

Und nun also: Sündenbock der Nation, zumindest für die Reporter aus der Deutschschweiz. Weil sie nicht mehr Teil einer medialen Kuschelparty sein dürfen wie damals bei Ottmar Hitzfeld, jenem Mathematiklehrer aus Lörrach, der sich 2012 nicht zu schade war, mit Ringier einen Vertrag für eine «redaktionelle Zusammenarbeit» einzugehen, um so trotz verpasster EM-Qualifikation die positive Berichterstattung des «Blicks» auf sicher zu haben. Petkovic dagegen machte den Medien von Anfang an klar: «Ich arbeite nicht für die Medien. Ich arbeite für den Verband, für den Schweizer Fussball, für meine Spieler.»

Am 30. November 2019 werden die EM-Gruppen ausgelost. Am 13. Dezember 2019 will Petkovic eine Jahresbilanz ziehen und sich womöglich auch zu seiner Zukunft äussern. Und die Deutschschweizer Fussballjournalisten? Sie wollen auf die Welt kommen. Aber nicht mit Petkovic. Das ist ihnen zu viel.

Basel Briefing

Das wichtigste für den Tag
Jetzt Abonnieren
Jetzt Member Werden

Das könnte dich auch interessieren

Die Schalterhalle des Bahnhof SBB in Basel, am 5. Dezember 2023. (KEYSTONE/Georgios Kefalas)

David Rutschmann am 05. August 2024

FCB-Fans sollen Mann angegriffen haben

Am Samstag wurde ein Mann am Basler Bahnhof SBB attackiert. Laut Aussagen des Opfers waren die mutmasslichen Angreifer Anhänger des FC Basels. Der FCB bedauert den Vorfall. Zeug*innen berichten derweil von rassistischen Bemerkungen der Angreifer.

Weiterlesen
Kyburz Stöcklin Olympische Spiele

Michelle Isler am 25. Juli 2024

Vorfreude auf Olympia

Drei Sportler*innen aus der Region haben sich für die Olympischen Spiele qualifziert und messen sich in Paris mit der Weltspitze. Die Leichtathlet*innen Matthias Kyburz und Pascale Stöcklin sprechen vor der Abreise über jahrelange Vorbereitung, Nervosität und die Betten im Olympischen Dorf.

Weiterlesen
Soccer fans attend the Uefa Euro 2008 European Soccer Championship final match screening between Germany and Spain in the fan zone "Riviera" of Basel, Switzerland on Sunday, June 29, 2008. (KEYSTONE/Georgios Kefalas)

Helena Krauser am 26. Juni 2024

Steht die Schweiz im Finale, kommt die Grossleinwand

Die Schweizer Nationalmannschaft steht im EM-Achtelfinal und in Basel steigt das Fussballfieber. Die Plätze für Public Viewing in Restaurants und Bars sind allerdings begrenzt. Nun teilt das Bau- und Verkehrsdepartement mit, dass ein Public Viewing mit Grossleinwand möglich wäre – wenn die Schweiz ins Halbfinale kommt.

Weiterlesen
14. Juni 2024 – 3 Welten, 1 Stadt

Michelle Isler,Jan Soder,David Rutschmann am 14. Juni 2024

Eine Stadt, drei Welten

Wie ist der Vibe in Basel, wenn am selben Tag schickes Art-Basel-Publikum, feministische Demonstrierende und Fussballfans die Stadt einnehmen? Eine Reportage.

Weiterlesen
WoZ Logo

Kommentare