«Zu viele Autos auf diesem Planeten»

Jörg Gluth ist Lastwagenchauffeur, leidenschaftlicher Velofahrer, Musiker und Vater. Er findet, Autos hätten zu viel Prestige, die Maximalgeschwindigkeit auf Autobahnen sollte 100km/h und Arbeitswege per Velo zu machen sein. Ein Porträt.

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Jörg Gluth arbeitet seit sechs Jahren für die Transportfirma Remondis. (Bild: Ladina Tschurr (Collage: Bajour))

An einem kalten Dienstagmorgen fährt Jörg Gluth, 53, mit dem LKW einen Entsorgungstransport der Gewerbeschule. Von innen lehnt ein Schild an der Windschutzscheibe, auf dem gross «Schorsch» steht. Das sei ein Spitzname aus einer Zeit, in der er in Frankreich mit dem Mountainbike Downhill-Rennen gefahren ist. Schorsch (eigentlich Georges) ist die französische Version seines Vornamens Jörg. 

Ursprünglich hat Schorsch Metallbauschlosser gelernt und lange auf dem Bau gearbeitet. Die Lastwagenprüfung machte er vor vielen Jahren selbst. Immer wieder hat er dann zwischen Schlosser und Chauffeur gewechselt. Inzwischen fährt er aber nur noch Lastwagen. Und das mit viel Leidenschaft. Wegen der Grösse des Fahrzeugs sei er sozusagen der «Chef auf der Strasse». Und auch die Herausforderungen beim Manövrieren mag er gerne.

Während Schorsch erzählt, fährt er rückwärts in einer engen Einfahrt der Gewerbeschule einen Container an. Mit einem riesigen, aus der Fahrerkabine bedienten Haken zieht er den Container auf die Ladefläche und steuert den LKW, immer noch rückwärts, die Einfahrt wieder hoch.

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Jörg Gluth alias Schorsch fährt rückwärts eine Einfahrt hoch. Er mag das Manövrieren. (Bild: Ladina Tschurr)

Schorsch fährt heute für das Entsorgungstransportunternehmen Remondis. Dort mag er die geregelten Arbeitszeiten und die einfachen Aufträge. Früher, als er für eine andere Firma weite Strecken fuhr und Arbeitstage zwischen zwölf und vierzehn Stunden hatte, habe er fast keine Zeit mehr für seine zwei Söhne gehabt. Da sei er sehr gestresst gewesen, erzählt er.

Meistens fährt er nun die gleichen Strecken: von der Gewerbeschule zur Kehrichtverbrennungsanlage oder von der Roche nach Luzern, wo er Altmedikamente entsorgt. «Das ist fast ein bisschen wie Busfahren», meint Schorsch, weil sich die Strecken so oft wiederholen.

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Schorsch fährt meistens die gleichen Strecken – wie hier für die Roche. (Bild: Ladina Tschurr)

Stressige Situationen gäbe es für ihn kaum noch. Wenn man jeden Tag im Lastwagen sitze, gewöhne man sich dran. Dann sei es wie Velofahren, meint Schorsch. Es stören ihn höchstens Verkehrsteilnehmende, die sich nicht an Regeln halten und rücksichtslos handeln, beispielsweise wenn sie ihn bei einer Spurverengung auf der Autobahn nicht in eine Lücke einfahren lassen.

Schorsch fährt auf seinen normalen Touren meistens nur am Rand vom Stadtverkehr. Wenn er einmal wirklich in die Stadt hineinfährt, dann müsse er schon sehr vorsichtig sein. Vor allem am Morgen, wenn auch noch Schulkinder unterwegs sind.

Die grösste Herausforderung sei für ihn der tote Winkel. Hinter seinen riesigen Seitenspiegeln können Velofahrer*innen nämlich schnell mal verschwinden. «Dann muss man halt etwas Yoga machen» und sich im Sitz vor- und zurücklehnen. Nur so hat man alles im Blick, sagt Schorsch, und beugt sich demonstrativ über das Steuerrad.

Inzwischen sind wir bei der Kehrichtsverbrennungsanlage angekommen. Mit der Fernsteuerung hebt Schorsch den grossen Haken der Ladefläche. Der Container kippt und sein Inhalt stürzt in den riesigen Abfallbunker. «Achtung, ich schüttle», warnt er, bevor er mit Gas- und Bremspedal den LKW ruckeln lässt. Und schon sind wir mit dem leeren Container wieder auf dem Rückweg.

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In der KVA kommen täglich über 130 Entsorgungstransporte an. (Bild: Ladina Tschurr)

Schorsch unterstützt den Verein umverkehR. umverkehR engagiert sich für einen zukunftsfähigen Verkehr, der sich in erster Linie die Verringerung des Individualverkehrs zum Ziel setzt. Entsprechend sieht auch er das grösste Problem des Verkehrs in seiner Dichte. «Es gibt einfach zu viele Autos auf diesem Planeten», sagt Schorsch. «Es muss ein Umdenken stattfinden», damit die Strassen weniger überlastet seien und die Welt wieder grüner werde.

In erster Linie müsse man die Arbeitswege auf ein Minimum reduzieren, ist Schorsch überzeugt. Er selbst habe noch nie eine Stelle angenommen, bei der er den Arbeitsweg nicht mit dem Velo machen konnte. Schorsch besitzt nämlich kein Auto, weil er es nicht brauche und sinnlos findet. Und falls er doch einmal ein Auto benötigen sollte, dann mietet er es eben bei Mobility. Autos würden in der Gesellschaft zu sehr zelebriert, sagt Schorsch.

Generell fände er es gut, wenn die Maximalgeschwindigkeit auf der Autobahn 100 Stundenkilometer betragen würde. Den Vorschlag des Bundesamt für Strassen (Astra) vom 10. Oktober, zu Stosszeiten auf gewissen Autobahnabschnitten den Verkehr auf 80 Kilometer pro Stunde zu drosseln, gefällt Schorsch: «Man kann ja eh nicht schneller fahren.» Dem Feierabendstau entgeht er geflissentlich, indem er den LKW auf dem Parkplatz in Muttenz stehen lässt und auf sein Velo umsteigt.

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Schorsch ist begeisterter Velofahrer. (Bild: Ladina Tschurr)

Grosse Träume hat Schorsch nicht. Er wünscht sich in Zukunft mehr Zeit für sich. Dann könnte er öfter Velofahren, zuhause mehr Werkeln und sich mehr Zeit für die Musik nehmen. Er spielt nämlich in einer punkigen New-Rock-Band Schlagzeug. Seine Kinder sind inzwischen schon so gross, dass sie nicht mehr zuhause auf ihn warten.

Kurz vor fünf Uhr Abends ist sein Arbeitstag zu Ende. Nachdem er den LKW in Muttenz parkiert hat, setzt er seinen blauen Rucksack mit dem Logo des Strassenmagazins Surprise auf, schwingt sich auf sein pink-orangenes Velo und fährt in Richtung Münchenstein davon.

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