Wer verdient das Stimmrecht?

Bald könnten Ausländer*innen in Basel über kantonale Vorlagen abstimmen dürfen. Chefredaktorin und Auslandsdeutsche Ina Bullwinkel kann der Idee, dass mehr Menschen mitbestimmen, durchaus etwas abgewinnen.

Ina Kommentar
(Quelle: Adobe Stock/Collage: Bajour)

Regelmässig finde ich Flyer von Parteien in meinem Briefkasten, die mich dazu auffordern, in ihrem Interesse (ihrer Meinung nach natürlich in meinem Interesse) abzustimmen oder ihnen bei einer Wahl meine Stimme zu geben. Durch meinen Beruf weiss ich meistens schon, was zur Abstimmung steht und ich grübel ausgesprochen gerne herum, wie ich wohl abstimmen würde. Theoretisch. Wenn ich denn dürfte. Und vielleicht auch bald tatsächlich. Denn geht es nach der Mehrheit der Justiz-, Sicherheits- und Sportkommission (JSSK) des Grossen Rates, würde ich mit dem Upgrade auf die C-Bewilligung ein begrenztes Stimmrecht erhalten und kantonal abstimmen dürfen. 

Ich lebe erst seit vier Jahren in Basel, und es würde sich nach einem sehr grossen Privileg anfühlen, ab nächstem Jahr schon mitzubestimmen, wer im Grossen Rat sitzt oder welche Initiative angenommen oder abgelehnt wird. Ich bin ja keine Schweizerin. Baslerin bin ich allerdings schon. Ausserdem zahle ich Steuern und bin in den kommenden Jahren betroffen von langfristigen politischen Entscheiden – etwa von Kita-Gebühren für mein Kind, dem Wohnungsbau oder dem Abbau von Parkplätzen in meinem Quartier. Ich trage gesellschaftlich etwas bei, da mein Geld in Strassen, Spitäler und Sportanlagen fliesst.

In Basel zählt nur die Nationalität, nicht die Verbundenheit zur Stadt oder zum Kanton.

Wer zahlt, befiehlt! ist wohl das schweizerischste aller Schweizer Sprichworte. Reicht es jedoch, Steuern zu zahlen, um politisch mitbestimmen zu können? Ich glaube, es braucht mehr Engagement in der Gesellschaft, als fünf Jahre irgendwo zu wohnen, zu arbeiten, Deutsch zu sprechen und keine Schulden zu haben. Aber auch hier gibt es ein Andererseits: Basler*innen mit Schweizer Pass dürfen wählen – ohne zu arbeiten, trotz Schulden und eventuell ohne gesellschaftliches Engagement oder jegliches Interesse an Politik. Ich sage nicht, diese Menschen haben das Stimm- und Wahlrecht nicht verdient. Aber ich sage: Der Anspruch an ausländische Basler*innen ist sehr viel höher.

Auf Bundesebene ergibt das Sinn: Die Staatsbürger*innen wählen das Schweizer Parlament und bestimmen über schweizweite Gesetze und Regeln. Warum bestimmen dann nicht alle Basler*innen über die Basler Regierung und Basler Gesetze und Regeln? Sobald sie wegziehen, würden sie das Recht ja wieder verlieren. In den Kantonen Neuenburg und Jura haben Ausländer*innen das Stimm- und Wahlrecht. In Basel zählt nur die Nationalität, nicht die Verbundenheit zur Stadt oder zum Kanton.

Es ist eine Minderheit der Basler*innen, die politische Entscheidungen trifft. 

Unter Umständen leben und arbeiten Menschen mindestens zehn Jahre in Basel, ohne je mitbestimmt zu haben. Führt das dazu, dass sie umso dringender mitbestimmen möchten oder schwindet ihr Interesse an der politischen Teilhabe mit der Zeit? In Basel-Stadt dürfen rund 38 Prozent der hier lebenden Menschen über 18 nicht mitbestimmen, da sie kein Schweizer Bürgerrecht haben. Gleichzeitig beteiligen sich bei Abstimmungen regelmässig nur etwa 40 Prozent der Stimmberechtigten. Es ist also eine Minderheit der Basler*innen, die politische Entscheidungen trifft. 

Mich dünkt, der Wunsch nach Mitbestimmung ist bei Schweizer*innen nicht so ausgeprägt – zumindest nicht so stark, wie ich es als Ausländerin erwartet hätte, der gegenüber immer wieder die Schweizerische Mitbestimmung und die direkte Demokratie angepriesen wird. Wo ist denn die Mehrheit der Menschen, die politisch teilhaben will?

Eine Win-win-Situation für die Demokratie: Je mehr mitbestimmen, desto besser.

Die bürgerlichen Parteien in Basel stellen sich gegen das begrenzte Ausländer*innenstimmrecht. Auch, weil sie befürchten, dass damit der Anreiz zur Einbürgerung verloren geht. Das mag sein. Aber ein echtes Argument gegen Mitbestimmung an dem Ort, an dem man seit Jahren lebt, ist es nicht.

Vielleicht schwingt auch mit, dass – angesichts der niedrigen Wahlbeteiligung – bald ein hoher Anteil Nicht-Schweizer*innen über die Politik im Kanton entscheiden könnte, insbesondere bei knappen Entscheiden. Falls das so käme, könnte es wiederum andere Abstimmende dazu bewegen, häufiger an die Urne zu gehen. Aus meiner Sicht wäre das eine Win-win-Situation für die Demokratie: Je mehr mitbestimmen, desto besser.

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