Die Export-Sackgasse des Schweizer Wirtschaftsverbands

Die économiesuisse will uns «auf die Erfolgsspur zurückbringen». Leider verwechselt der Verband die Exportindustrie mit der ganzen Wirtschaft und stellt das Schweizer Erfolgsrezept der letzten Jahrzehnte in Frage.

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Nicht mit Steuern knausern, sagt Wirtschaftsjournalist Werner Vontobel. (Foto: Kelsey Knight/Unsplash, Illustration: Franziska Zambach)

In seinem «Aufruf an die Schweizer Politik» hat uns der Wirtschaftsdachverband économiesuisse erklärt, wie er unsere Wirtschaft «zurück auf die Erfolgsspur» führen will. Und er hat damit zwischen den Zeilen auch klar gesagt, wie er unsere Wirtschaft versteht, nämlich als «Exportland», das seinen Erfolg der Tatsache verdankt, dass es «international wettbewerbsfähig» ist – und bleiben muss: Dazu brauche es „Zugang zu ausländischen Arbeitskräften, neue Handelsabkommen, die «Abschaffung der Importzölle», eine klare «Absage an alle protektionistischen Massnahmen», und ein Festhalten an der Schuldenbremse – auf dass die Kapitalmärkte das Vertrauen in die Schweiz nicht verlieren.

Genau so wichtig für die Wettbewerbsfähigkeit sei aber auch ein «kleiner Fussabdruck der Staates». Nach dem Lockdown und den umfangreichen Hilfsmassnahmen solle sich der Staat  wieder «auf seine Kernaufgaben fokussieren». Höhere Steuern wären «Gift für die wirtschaftliche Entwicklung.» Konkret: «Die Unternehmen brauchen tiefe Steuern und weniger Abgaben, damit die Kosten nicht zu hoch sind. Die Bevölkerung braucht tiefe Steuern, damit sie Geld zum Konsumieren und Investieren hat.»

Jobmaschine öffentliche Verwaltung

Mit Fokus auf stark exportorientierte Industrien, wie etwa die Basler Pharmabranche, leuchten diese Massnahmen durchaus ein. Doch gilt das auch für die nicht in der Exportindustrie angestellten Durchschnittsschweizer*innen, die vor allem an einem sicheren und anständig bezahlten Job und an einer nicht zu teuren Wohnung interessiert sind?

Machen wir den Faktencheck: Von 1991 bis 2020 sind in den typischen Exportindustrien Pharma, Uhren, Elektronik, Maschinenbau und Finanzdienstleistungen per Saldo gut 30’000 Vollzeitstellen abgebaut worden. Hingegen sind in den Branchen öffentliche Verwaltung, Erziehung und Unterricht sowie Gesundheits- und Sozialwesen 240'000 neue Jobs geschaffen worden.

Offenbar ist also der Bedarf an öffentlichen, mit Steuern und Sozialabgaben finanzierten Gütern weit überdurchschnittlich stark gestiegen. Sie waren der mit Abstand wichtigste Job-Motor. Das war nur möglich, weil es die Schweiz geschafft hat, diese Ausgaben auch zu finanzieren. Etwa dank hohen Löhnen und entsprechenden Abgaben.

«Wollen wir unsere Erfolgsspur verlassen, indem wir die Steuern senken?»

Kurz: Die Bevölkerung braucht hohe Steuern, weil sie die staatlichen Leistungen braucht. Andere Länder, die sich gigantische Exportüberschüsse mit Dumpinglöhnen erkaufen, wie etwa Deutschland, zeigen, dass wir mit unserem hohen Lohnniveau da etwas besser begriffen haben. Das war und ist die Schweizer «Erfolgsspur». Es fragt sich, ob wir diese verlassen wollen, indem wir die Steuern senken – in der Hoffnung, dafür ein paar zusätzliche Exportjobs zu ergattern? Die Erfahrung müsste uns lehren, dass das kein sehr aussichtsreicher Versuch ist.

Die économiesuisse geht offenbar davon aus, dass wir uns diese staatlichen Leistungen nur dank einer starken Exportindustrie leisten können. Da ist etwas dran, aber man muss das im grösseren Zusammenhang sehen: Die Schweiz hat einen hocheffizienten Produktionsapparat. Wofür dieser eingesetzt wird, hängt letztlich von unseren Bedürfnissen ab. Diese haben sich nun mal in Richtung kollektive Güter, wie beispielsweise Erziehung, verschoben. Aber wir brauchen weiterhin auch Importe und die müssen wir mit Exporten verdienen.

Jede achte Arbeitsstunde ohne Gegenleistung

Fakt ist aber, dass es dafür immer weniger Arbeitskräfte braucht. Obwohl heute prozentual und absolut viel weniger Arbeitskräfte im Export beschäftigt sind als 1991, hat der Handelsbilanzüberschuss zugenommen. Wir haben jede achte Arbeitsstunde für das Ausland gearbeitet, ohne dafür eine andere Gegenleistung gefordert zu haben, als eine Gutschrift – die dann auf den Konten der Nationalbank gelandet ist. Wollen wir wirklich noch mehr davon?

Klar, die Export-Industrie ist wichtig und sie verdient eine Lobby, die sich für sie ins Zeug legt. Doch die vermeintliche Erfolgsspur, auf die uns diese Lobby locken will, ist eine Sackgasse. Die*der Normalbürger*in hat kein Interesse daran, dass der Staat mit seinen Leistungen knausert, um dank tieferen Steuern noch mehr Wertschöpfung aus globaler Produktion in die Steueroase Schweiz zu locken. 

Vielleicht sollten wir noch einmal in Ruhe darüber nachdenken.

Werner Vontobel ist gebürtiger Basler und eine*r der bekanntesten Wirtschaftsjournalist*innen der Schweiz. Auf Bajour bringt er sich regelmässig zu volkswirtschaftlichen Themen, konjunkturpolitischen Grundsatzdebatten und ökonomischen Sinnfragen ein.

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