Kaleio macht aus Mädchen Komplizinnen
Schon fast zwei Jahre gibt es Kaleio, «das Magazin für Mädchen (und den Rest der Welt)». Zu Besuch bei einer Leserin im Kleinbasel.
Im Treppenhaus ist aufgeregtes Geflüster zu hören, auf der Türschwelle tippelt Yama von einem Fuss auf den anderen. Sie freut sich offensichtlich, heute eine Journalistin zu empfangen, um mit ihr über das Mädchenmagazin Kaleio zu sprechen. Wir führen das Gespräch in ihrem Zimmer, wo sie ihre Heftli aufbewahrt. Die 11-Jährige hat extra für den Besuch aufgeräumt.
Yama wohnt zusammen mit ihren Eltern im Kleinbasel. Bis anhin liest sie Kaleio hauptsächlich in der Tagesstruktur (ausserschulisches Betreuungsangebot für Schüler*innen), die ein Abo für das Magazin hat. Sie erzählt aber, dass sie bald ein eigenes Abo haben dürfe. Die Ausgaben, die Yama bereits besitzt, liegen jetzt auf ihren Knien. Das Mädchen blättert sorgfältig im neusten Heft, um zu zeigen, was ihr besonders Spass macht: die Bastelideen.
Sie hält ihren Finger auf eine Anleitung für einen selbstgemachten Schreibtisch-Organisierer aus Karton. Bei Yamas Schreibtisch stehen schon ein paar WC-Rollen bereit. «Ich sammle, damit ich das auch basteln kann», erklärt sie. «Sehr nützlich und wichtig» fand sie auch eine Anleitung, wie man Passwörter sicherer machen kann. «Ich habe alle diese Schritte dann gleich bei mir zuhause angewendet.»
Vor genau zwei Jahren, am Weltmädchentag 2020, lancierten vier Frauen Kaleio durch ein Crowdfunding. Zwei Monate später war die erste Ausgabe da. Damals hiess es noch Kosmos. Weil dies aber ein eingetragener Markenname eines deutschen Verlags ist, wurde es in Kaleio umbenannt. «Das Magazin für Mädchen (und den Rest der Welt)» richtet sich hauptsächlich an Mädchen zwischen 8 und 13 Jahren.
«Ich finds no cool, dass es vor allem für Meitli isch», erzählt Yama und nennt zwei Gründe: Im Moment würden die Buben sich vor allem mit Panini-Bildchen beschäftigen – und das interessiere sie halt nicht so, findet sie schulterzuckend. Und zweitens: «Mängmol wärded Fraue ja no chli benachteiligt.» Sie muss nicht lange überlegen, um das zu illustrieren: «Zum Bispil krieged sie weniger Geld als Männer bim Schaffe.» Und auch deshalb finde sie ein Magazin für Mädchen gut, sagt sie.
Neues lernen, auch über andere Mädchen
In jedem Heft gibt es mehrere Porträt-Rubriken. Bei «Flink wie Pippi» geht es immer um Mädchen, die Sport machen: die Kung-Fu-Schülerin, die Bogenschützin, die Skaterin. Eine gezeichnete Skaterin mit Rollschuhen hängt auch an den Wänden in Yamas Zimmer. Es ist ein Poster aus dem Kaleio.
Unter dem Bild stehen Yamas weisse Schlittschuhe. Die 11-Jährige kniet auf den Boden, steckt ihre beiden Hände in die Schuhe und bewegt sie hin und her, wie wenn der Teppich ein Eisfeld wäre. Eiskunstlauf ist seit rund einem Jahr ihr liebstes Hobby. Sie ist Teil eines Teams von jungen Synchronläufer*innen in Basel. In der ersten Herbstferienwoche war sie in einem Trainingslager. «Es war so sträng, ich hatte glaub noch nie so fest Muskelkater», erklärt Yama strahlend und streckt sich. Das Training spürt sie noch heute.
Beiträge über verschiedene Mädchen findet die 11-Jährige «mega spannend». Besonders gefiel Yama das Porträt eines Mädchens aus Senegal. «Mein Vater ist von da und auch wenn ich schon vieles über das Land weiss, habe ich doch mega viel Neues gelernt.» In einem Punkt sei sie sich mit dem Mädchen zwar nicht einig gewesen: Maffe, ein Erdnusseintopf, findet Yama «nicht so mega, mega fein. Aber das macht ja nichts». Die 11-Jährige grinst.
Komplizinnen statt Konkurrentinnen
Yama liest die Heftli nicht nur für sich alleine. Sie erzählt, dass sie in der Tagesstruktur manchmal gemeinsam die Seiten durchblättern und zum Beispiel über die Umfrage sprechen. In dieser Rubrik beantworten verschiedene Mädchen die gleiche Frage. «Wie würde dein Traumzimmer aussehen?», steht dann da. Oder: «Wobei bist du mal gescheitert und wie hast du dich dabei gefühlt?» Yama findet es lustig, die Antworten der anderen zu hören. «Wir sind uns zwar meistens nicht so einig, aber es darf ja auch jeder seine eigene Meinung haben», sagt sie bestimmt.
Kaleio regt zum Diskutieren an und das ist ganz im Sinne seiner Macherinnen. Zum fünfköpfigen Team gehört Laura Simon, die schon seit der Gründung beim Mädchenmagazin arbeitet. Kurz bevor sich die 34-Jährige für ein paar Monate aus der Redaktion zurückzieht – sie erwartet ein Kind – treffen wir sie im frisch bezogenen Kaleio-Büro an der Elisabethenstrasse.
«Ab und zu kommt es vor, dass Mädchen auf Leserinnenbriefe in vorherigen Ausgaben antworten», erzählt sie. «Das ist toll, weil wir mit Kaleio auch die Vernetzung unter den Mädchen fördern wollen, so dass sie sich mehr als Freundinnen oder Schwestern, ja eigentlich als Komplizinnen sehen.» Und nicht als Konkurrentinnen, wie das heute noch in vielen Magazinen oder Serien gezeigt werde, «denn das hält Frauen klein».
«Du darfst schreien»
Die Idee für Kaleio stammt aus Polen, rund die Hälfte der Inhalte kommt über eine Zusammenarbeit mit dem polnischen Vorbild in die Schweizer Version. Die andere Hälfte macht die Redaktion in Basel selbst – und das scheint sich zu lohnen.
Beiträge, die allgemein bei den Leserinnen hierzulande besonders gut ankommen, sind zum Beispiel der Comic, gezeichnet von Mireille Lachausse, einer Illustratorin aus Lausanne. Er erzählt vom Mädchen Kira, das zusammen mit einer Künstlichen Intelligenz durch die Zeit reist und historische Frauenfiguren aus der Schweiz kennenlernt.
Dieser Comic gefällt auch Mina. «Ich liebe ihn!», sagt sie am Telefon. Sie ist 10 Jahre alt und liest Kaleio seit bald einem Jahr. «Ich habe Kaleio letztes Jahr zu Weihnachten bekommen und lese alle Heftli immer wieder.» Auch die Rätsel mag Mina gerne. Dann kommt ihr noch etwas in den Sinn: «Einmal hatte es auch eine Anleitung, um ein Megafon zu basteln. Das will ich mal machen. Dann würde ich es zum Beispiel am Frauenstreik oder an einer Demo brauchen.»
Sie sei bereits vor Corona am grossen Frauenstreik dabei gewesen, erzählt sie freudig. «Kaleio hat mir bei vielen Sachen Mut gegeben. Zum Beispiel im ersten Heftli stand auf einer Seite: Du darfst schreien. Das hani mega toll gfunde.»
In klassischen Mädchenmagazinen gehe es immer noch «sehr fest darum, wer man sein soll», findet Laura Simon. «Es geht darum, was in Mode ist, wie man sich schön macht, was gerade ‹in› ist. Wir wollen den Mädchen eine Bandbreite zeigen und ihnen vermitteln: Das alles kannst du sein.»
«Bei uns beginnt Frauenförderung bei den Mädchen»
Dabei spielt nicht nur die Auswahl der Geschichten eine Rolle, sondern auch die Sprache. «Wir benutzen so häufig wie möglich die weibliche Form in unseren Beiträgen», erklärt Laura. «Weil es einfach einen Unterschied macht, ob man von Polizisten oder von Polizistinnen liest.» Sie seien zwar politisch unabhängig, «aber vermutlich nicht neutral», so die 34-Jährige. «Gender ist politisch und in diesem Sinne sind wir es auch.»
Zum Ausdruck kommt das vor allem in der Haltung der Macherinnen. «Die gewählten Themen sind zwar universell und auch für Jungs spannend. Unser Ziel ist es aber vor allem, dass Mädchen mit diesen Themen in Berührung kommen. Wir stellen uns deshalb immer die Frage: Was könnte für die Frauen von morgen relevant sein?»
Sie erklärt das anhand eines Beispiels: «In der Medizin haben wir noch immer einen Gender Data Gap. Darum ist es wichtig, dass Frauen sich an der medizinischen Forschung beteiligen und bei Fragen, die sie betreffen, mitreden. Das muss noch viel mehr gefördert werden.» Und hier setzt auch das Magazin an. «Für die meisten beginnt Frauenförderung bei den Frauen. Bei uns beginnt sie bei den Mädchen. Denn wenn du zum Beispiel die ganze Primarschulzeit hörst, Informatik sei nichts für Mädchen, ist die Tür im Teenageralter, wenn die ganzen MINT-Programme ansetzen, schon fast zu.»
«Wir wollen einen sozialen Impact haben»
Im Gespräch mit Laura Simon wird klar: Kaleio ist nicht einfach nur ein Magazin. «Wir wollen einen sozialen Impact haben und verstehen uns deshalb auch als Bewegung», so die 34-Jährige. Das Magazin wird in der Schweiz produziert, daher auch der Preis: Eine Ausgabe kostet 19 Franken. Dass das relativ viel ist, ist den Macherinnen bewusst. «Deshalb haben wir ein Patenschaftsabo ins Leben gerufen, bei dem Leute, die das Geld haben, ein Abo spenden können», erzählt Laura. Durch eine Zusammenarbeit mit der Winterhilfe – auch in Basel – werden dann solche geschenkten Abos an Mädchen vermittelt, die sich das sonst nicht leisten könnten.
Zum Schluss noch die Frage: Was ist eigentlich mit den Jungs? Laura Simon kennt die Kritik: Die Frage würden sie immer wieder hören. «Ich finde natürlich auch, dass Jungs andere Vorbilder brauchen», sagt sie «Aber das ist nicht unser Fokus. Wir fänden es allerdings mega cool, wenn jemand so ein bestärkendes Magazin auch für Jungs machen würde.»
Freiwillige vor.
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Einzelne Ausgaben oder ein Abo kannst du im Kaleio-Onlineshop bestellen. Auf dieser Karte siehst du ausserdem, wo du du das Magazin sonst noch kaufen oder ausleihen kannst.
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