«Literatur ist Empathie in Buchstaben»

Basel stand am Wochenende ganz im Zeichen der Literatur. Die Buch Basel unter dem Motto «Ich–Du–Wir» zog zahlreiche grosse und kleine Buchbegeisterte an. Einer der Höhepunkte war die Verleihung des Schweizer Buchpreises an Christian Haller.

BuchBasel
(Bild: BuchBasel)

Der Start der diesjährigen Buch Basel war eindrücklich. Im ausverkauften Saal des Volkshauses überzeugte das Programm die Besucher*innen, die von Songs der Musikerin «I Used To Be Sam» begrüsst wurden. Nachdem die Festivalleiterin Marion Regenscheit den Abend eröffnete, sprachen Eva Herzog, Ständerätin und Vorstandspräsidentin von LiteraturBasel, und die Leiterin der Abteilung Kultur Basel-Stadt Katrin Grögel ihre Grussworte. 

Eva Herzog BuchBasel
Eva Herzog bei ihrer Begrüssungsrede. (Bild: Valerie Wendenburg)

Schon bald wurde klar, dass das Festival auch im Zeichen der aktuellen politischen Ereignisse stand. Marion Regenscheit betonte, dass es in Zeiten wie diesen alles andere als selbstverständlich sei, friedlich drei Tage Literatur feiern zu können. Auch Eva Herzog erinnert daran, dass die Schweiz ein privilegiertes Land sei. Literatur sei für sie ein «Ort des Innehaltens». Sie mahnt, gerade jetzt die Werte der Demokratie zu verteidigen, sich gegen Antisemitismus zu stellen und die Einhaltung des humanitären Völkerrechts im Blick zu behalten. Katrin Grögel wünscht sich in Zeiten des Krieges und der «unfassbaren Verherrlichung von Gewalt» weniger Vorverurteilungen und mehr Empathie. Für sie sei Literatur «Empathie in Buchstaben», denn Lesen bedeute, sich in andere Menschen hineinzuversetzen und zuzuhören. 

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Drei Autorinnen halten eine kollektive Eröffnungsrede. (Bild: BuchBasel)

Zum ersten Mal in der Geschichte des Internationalen Literaturfestivals hörten die Besucher*innen ganz nach dem Motto «Ich – Du – Wir» eine kollektiv geschriebene Eröffnungsrede von den Autorinnen Şeyda Kurt, Nadia Owusu und Ivna Žic. Auch hier stand die Politik im Vordergrund, die immer auch ins Private reicht. Berichtet wurde von historischen Ereignissen, die heute neu erzählt werden müssen, aber in welcher Form? Wer spricht für wen? Und inwiefern können wir für andere sprechen? Seyda Kurt sagt: «Wie oft schreibe ich ‹Ich›, aber meine ‹Du›. Wir oft schreibe ich ‹Du›, aber meine ‹Wir›. Wie oft schreibe ich ‹Wir› und meine ‹Mich›. Wir oft schreibe ich ‹Ich› und weiss nicht, was ich meine.» Nadia Owusu meint: Gemeinsam «zum Wir zu gelangen, bedarf der Übung und der Arbeit.» Wir müssten uns fragen, wie wir «aufgeschlossener und gastfreundlicher sein könnten.» 

«Ausverkaufte Veranstaltungen gab es einige»

Für Aufgeschlossenheit und Gastfreundlichkeit stand die Buch Basel an diesem Wochenende. An mehr als 100 Veranstaltungen wurde Literatur – auch in digitaler Form – für das Publikum erlebbar. Ausverkaufte Veranstaltungen gab es einige, so auch die Lesungen von der Nobelpreisträgerin Olga Torkaczuk, des Bestsellerautors Daniel Kehlmann, des Friedenspreisträgers Navid Kermani oder des Krimi-Autors Sebastian Fitzek. Aber auch andere Lesungen wie die von Deniz Utlu oder Fatou Diome waren sehr gut besucht – ebenso wie die Anlässe der fünf Nominierten für den Schweizer Buchpreis 2023: Christian Haller, Demian Lienhard, Sarah Elena Müller, Adam Schwarz und Matthias Zschocke.

Demian Lienhard (mit Mr. Goebbels Jazz Band), Sarah Elena Müller (mit Bild ohne Maedchen), Christian Haller (mit Sich lichtende Nebel), Adam Schwarz (mit Glitsch) und Matthias Zschokke (mit Der graue Peter), von links, stehen auf der Buehne waehrend der Presiverleihung des Schweizer Buchpreises 2023 in Basel, am Sonntag, 19. November 2023. (KEYSTONE/Georgios Kefalas)
Die Nominierten für den Schweizer Buchpreis. (Bild: © KEYSTONE / GEORGIOS KEFALAS)

Die Preisverleihung des Schweizer Buchpreises 2023 fand Sonntagvormittag im Theater Basel statt und wurde von Nina Mavis Brunner moderiert. Aus allen Büchern hat Nicole Coulibaly vorgelesen, die Mitglieder der Jury hielten eine Laudatio auf jede*n Nominierte*n. Der Schweizer Buchpreis wurde zum 16. Mal verliehen, er wird vom Schweizer Buchhandels- und Verlagsverband (SBVV) und Literatur Basel gemeinsam vergeben.

Manuel Schär, Präsident des SBVV, lobte die mitreissenden Bücher: «Der Beitrag, den die fünf nominierten Autor*innen an eine freie Gesellschaft leisten, ist kaum zu ermessen.» Die Entscheidung war offenbar keine leichte, die Jury sei sich nicht sofort einig gewesen. Schliesslich öffnet Eva Herzog als Präsidentin des Vereins Literatur Basel den Briefumschlag, in dem sich der Name der Gewinner*in befindet: Christian Haller. Geehrt wurde er für sein Buch «Sich lichtende Nebel».

Christian Haller posiert als Gewinner des Buchpreises (fuer sein Werk Sich lichtende Nebel) auf der Buehne der Presiverleihung des Schweizer Buchpreises 2023 in Basel, am Sonntag, 19. November 2023. (KEYSTONE/Georgios Kefalas)
Christian Haller ist der Gewinner des Schweizer Buchpreises. (Bild: © KEYSTONE / GEORGIOS KEFALAS)

Christian Haller betrat sichtlich gerührt die Bühne. Er sagte, er habe 60 Jahre an der Sprache gearbeitet und sei nun «sprachlos». Dankbar nahm er die Auszeichnung entgegen, die mit 30’000 Franken dotiert ist. Sie sei eine «Anerkennung seines Werks, an dem er lange gearbeitet hat». Im Anschluss an die Feier sagte er zu Bajour: «Es ist aber auch eine Anerkennung für einen Weg, den ich gegangen bin. Ich habe sehr viele Romane, Erzählungen und Gedichte geschrieben. Jetzt in fortgeschrittenem Alter diesen Preis zu bekommen, ist sehr schön.» Nach der Preisverleihung ging das Programm der Buch Basel weiter – auch in der Klara, wo Kinder ins Leben der Bücher eintauchen konnten. 

«Literatur hat einen wichtigen Stellenwert»



Das Wochenende hat gezeigt, dass Literatur einen wichtigen Stellenwert hat, das Interesse an der Buch Basel war bemerkenswert. Ob das facettenreiche Programm auch in den kommenden Jahren so weitergeführt werden kann, ist noch nicht sicher, denn der Verein Literatur Basel hat Geldsorgen. Auch dieses Thema wurde an der Eröffnung angesprochen – ging aber im Festivalrausch während der drei Tage etwas unter. Nach der Buch Basel 2023 ist vor der Buch Basel 2024, und es wird sich weisen, ob der Kanton den Verein Literatur Basel mit mehr Geld unterstützt als bisher. 

Herz Stern
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    Mitarbeit Bühnenbild – Jan Vahl
    Lichtdesign – Roland Heid
    Dramaturgie – Kris Merken

    Elmira Bahrami
    Jan Bluthardt
    Barbara Colceriu
    Fabian Dämmich
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Nach dem Studium, freier Mitarbeit bei der Berliner Morgenpost und einem Radio-Volontariat hat es Valerie 2002 nach Basel gezogen. Sie schreibt seit fast 20 Jahren für das Jüdische Wochenmagazins tachles und hat zwischenzeitlich einen Abstecher in die Kommunikation zur Gemeinde Bottmingen und terre des hommes schweiz gemacht. Aus Liebe zum Journalismus ist sie voll in die Branche zurückgekehrt und seit September 2023 Senior-Redaktorin bei Bajour. Im Basel Briefing sorgt sie mit ihrem «Buchclübli mit Vali» dafür, dass der Community (und ihr selbst) der Lesestoff nicht ausgeht.

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