Ein Zimmer für alle

Am Sonntag ist die Matthäuskirche im Kleinbasel jeweils bis spät abends geöffnet. Die Kirche möchte ein Begegnungsort sein in einem Quartier, das derzeit stark unter dem zugenommenen Drogenkonsum leidet.

Kirche
Mirjam Baumann und Thawm Mang in der Matthäuskirche. (Bild: zVg)

«Wenn ich am Samstag oder Sonntagmorgen ankomme, sehe ich oft Leute, die nicht mehr sich selbst sind, die am Spritzen sind oder auf den Bänken schlafen», sagt Thawm Mang. Der Sozialarbeiter ist von der reformierten Kirche angestellt und leitet das Projekt Sonntagszimmer in der Matthäuskirche. An Sonntagen sind die Räumlichkeiten jeweils von morgens bis spät abends offen – für alle, die gemeinsam mit anderen Menschen essen, trinken, beten oder einfach zusammensitzen wollen. Das Ziel des Sonntagszimmers ist, sich als Kirche dem Quartier gegenüber zu öffnen. Jede*r ist willkommen, ob alt, jung, ob gläubig oder ungläubig. Auch keine Rolle spielt, ob die Person Schwierigkeiten im Leben hat oder nicht.

Mang kann die Berichterstattung zum Drogenkonsum rund um den Matthäuskirchplatz zwar bestätigen, auch er begegnet in den Morgenstunden auf dem Weg zu seiner Arbeit vielen Süchtigen. Aber Probleme habe es bisher keine gegeben. Auch wenn Anwohner*innen von einem Zustand berichten, der «nicht mehr auszuhalten» sei und Horst Bühlmann von der Suchthilfe Region Basel feststellt, dass der Konsum von Kokain, aus dem Crack und Freebase gemacht wird, zugenommen hat, sagt Mang: «Diese Menschen stören uns nicht.»

Sonntagszimmer
Für alle offen – egal welche Religionszugehörigkeit. (Bild: Kathrin Schulthess, Christoph Merian Stiftung)

Er beobachte die Situation um seine Kirche herum und versuche einzuschätzen, ob jemand Hilfe benötige, erzählt er. «Wenn jemand zu uns in die Kirche kommen will, dann suchen wir das Gespräch. Grundsätzlich sind bei uns alle willkommen. Aber wir haben ein Alkohol- und Drogenverbot. Wenn jemand hingegen Hunger hat, finden wir eine Lösung.»

Zwei regelmässige Besucher des Sonntagszimmers leiden unter ihrer Drogensucht: «Mit ihnen müssen wir jeweils die Grenzen kommunizieren. Wenn sie während des Gottesdienstes zu laut sind, begleiten wir sie raus», sagt Mang. «Das Sonntagszimmer steht für Gemeinschaft und wir wollen grundsätzlich niemanden abweisen.»

Tiger
Im Spielzimmer finden sich Trampolin, Spielküche, Kisten mit Legos, Playmobil, Gesellschaftsspiele und ein riesengrosser Schneetiger aus Plüsch. (Bild: zVg)

Im Jahr 2009 hat Thawm Mang vom Kirchenrat ein Konzept vorgelegt bekommen, um ein soziales Projekt in der Matthäuskirche aufzubauen. «So ist das Sonntagszimmer entstanden», erzählt der ehemalige Gastro-Seelsorger. Im Unterschied zu anderen Anlaufstellen, die alle unter der Woche stattfinden,«bieten wir den Leuten einen gemeinsamen Sonntag», so Mang weiter.

Der Tagesablauf ist dabei immer gleich – und immer kostenlos, Spenden sind freilich erwünscht: Es gibt ein Morgengebet, auf das ein gemeinsames Frühstück folgt, ein Mittagsgebet mit anschliessendem Mittagessen, ein Nachmittagsprogramm und ein Zvieri. Dann folgt ein Abendgottesdienst, bei dem ein biblisches Theaterstück aufgeführt wird. «Die Spieler*innen führen dies jeweils in ihrer Muttersprache auf», sagt Thawm Mang. 

«Das Sonntagszimmer ist ein christliches Angebot und danach richten sich unsere Gebete und Geschichten. Aber unsere Kirche ist für alle offen. Menschen jeglicher Herkunft und jeglicher Religionszugehörigkeit sind willkommen», sagt Thawm Mang.

Ein Tiger in der Kirche

Auch für Kinder bietet das Sonntagszimmer etwas Aussergewöhnliches: Im Kirchenraum befindet sich nämlich ein Spielzimmer mit einem Trampolin, einer Spielküche, Kisten mit Legos, Playmobil, Gesellschaftsspiele und ein riesengrosser Schneetiger aus Plüsch. Das Spielzimmer befindet sich hinter einer langen Glasscheibe. «Diese Kirche ist die einzige, in der es einen Tiger gibt», sagt Thawm Mang und lacht. «Hier können die Kinder sonntags spielen, auch während des Gottesdienstes», erzählt er.

Das Sonntagszimmer wird von der Evangelisch-reformierten Kirche Basel-Stadt finanziert und von Stiftungen und Privaten unterstützt. Den Grossteil der Arbeit übernehmen die 20 bis 30 Freiwilligen, die an den Sonntagen jeweils mithelfen: «Jede*r kann das beitragen, was er oder sie möchte. Vom Tischdecken übers Abräumen, Stühle aufstellen oder Kochen.

Jeden Sonntag kommen neue Leute, die mithelfen.» Es gebe Helfende, die regelmässig kommen, «wie zum Beispiel unsere zwei Köchinnen oder zwei junge Männer, die jeden Sonntag bereits um 6:45 hier sind, um alles aufzubauen», erklärt Mang. Das Essen wird jeden Freitag von der Schweizer Tafel geliefert.

«Die Kinder sollen auch während des Gebets spielen dürfen.»
Thawm Mang, Sozialarbeiter

Angestellt für das Projekt sind neben Thawm Mang Silvia Gurtner, Mirjam Baumann und zwei Putzkräfte. Silvia Gurtner ist für das Kinderprogramm zuständig und betreut die Kinder im Spielzimmer im Kirchenraum: «Die Kinder sollen auch während des Gebets spielen dürfen, Silvia Gurtner schaut jeweils, dass es nicht zu laut wird», erklärt Mang. 

Mirjam Baumann ist Sozialarbeiterin und bietet während des Sonntagszimmers Sozialberatungen an. «Mirjam Baumann ist tagsüber da und man darf spontan bei ihr anklopfen, um ihr Fragen zu stellen oder ein Anliegen deponieren», sagt der Leiter des Sonntagszimmers. 

Und wer besucht das Sonntagszimmer? «Wir haben eine Mischung aus unterschiedlichen Menschen bei uns. Alleinstehende, Familien, auch Geflüchtete. Viele Menschen suchen nach einer Gemeinschaft, nach einem Austausch oder wollen helfen. Wir motivieren die Leute aber auch dazu, einen Beitrag zu leisten und neue Schritte zu wagen», sagt Thawm Mang.

Herz Stern
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