«Mein Freund aus London war früher auch eine Frau, kennen Sie ihn?»

Sascha sitzt am Rhein und will lesen. Jemand sitzt dazu und hört nicht mehr auf zu reden. Protokoll einer Frechheit.

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Foto: Anne Gabriel-Jürgens (Bild: Anne Gabriel-Jürgens)

Letztens kam eine Frau in die KLARA und fragte meine Arbeitskollegin Samara wo Sascha sei. Samara war ziemlich überrascht, denn so eine aufgedonnerte expensive Design-chic-Frau Mitte 40 hätte sie niemals trashy Sashy zugeschrieben. Wir hätten the other day ein sehr gutes Gespräch unten am Rhein gehabt, sagte die Frau. 

Eine Frechheit, sowas zu behaupten, finde ich. 

[Oettlingerbuvette, ich sitze in der Badehose am äussersten Tischchen und lese]

Frau: Darf ich mich zu Ihnen setzen? 

Ich: Ja klar, ist frei.

Lust auf Lektüre am Rhein?
Bajour liefert.

[es wird kühler. Ich ziehe mir ein T-Shirt über]

Frau: Lesen Sie ein spannendes Buch?

Ich: Geht so. Ich mags nicht, aber ich mag die Person besser kennenlernen, die’s mir empfohlen hat. 

Frau: Was ist denn Ihr Lieblingsbuch? Ich frage die Leute gerne, was ihr Lieblingsbuch ist.

Ich: Hmm. Schwierig. Weiss grad nicht auf Anhieb, aber ich mag feministische Literatur. 

Frau: Ich auch! [zählt einige französische Philosoph*innen auf] Ich mag allgemein Philosophie. Zum Beispiel Slavoj Zizek. 

Ich: Was sind Sie denn von Beruf?

Frau: Ich bin Modedesignerin in Paris. 

Ich: Ah.

Frau: Und Sie?

Ich: Ich arbeite in der Gastronomie. Und schreibe zwei Kolumnen.

Frau: Ah, und jetzt sind Sie in den Ferien hier?

Ich: Nein, ich wohne in Basel. Ich arbeite gleich um die Ecke in der KLARA. Beim Claraplatz. Waren Sie schon da? 

Frau: Achso. Nein, kenn ich nicht. Ich bin eben hier in den Ferien. Aber nur bis übermorgen.

Ich: Achso. :-)

[Ich lese weiter]

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Foto: Anne Gabriel-Jürgens (Bild: Anne Gabriel-Jürgens)

Frau: Wann haben Sie denn Ferien?

Ich: Äh, Ende Oktober.

Frau: Und, haben Sie schon was vor?

Ich: Ja, voll. Ich geh ins Tessin mit einem Freund, das ist im Süden der Schweiz und dann ist da noch n’Film-Release, auf den ich mich sehr freue.

Frau: Haben Sie einen Film gemacht?

Ich: Nein, ein Regisseur hat eine Doku über mich gemacht.

Frau: [beugt sich zu mir und zwinkert] …über Ihre Umwandlung, hab ich Recht?

Ich: Ääh. Also. Ja, also ehm. Ich nenn das nicht Umwandlung, aber ja, es geht um non-binary und trans.

Frau: [Lehnt sich triumphierend zurück] Hab ichs mir gedacht!

(...) Ich habe einen Freund in London, er heisst XXX, kennen Sie ihn? Er war früher auch eine Frau. Aber jetzt sieht sie –

Ich:  – also er

Frau: …Ja, also jetzt sieht er ganz schön trainiert aus. Werden Sie auch noch trainieren? Bei Ihnen sieht das ja noch nicht so trainiert aus.

Ich: [wtf] …

[Frau erzählt mir unaufgefordert, wie Testosteron wirkt. Wie eine Transition abläuft. Wie’s bei dem Freund aus London «untenrum» ausschaut.]

… 

«Ich bin nicht da, um Erfahrungen von anderen Menschen mit trans Menschen oder Nonbinarys zu verifizieren.»
Sascha

Ich: Ähm, ists okay wenn ich jetzt wieder mein Buch lese? – Also ich würde gerne wieder mein Buch lesen. 

Frau: Na klar, viel Spass!

Frau: Wissen Sie, mein Boyfriend, der fand den Freund aus London mega heiss, also als er eine Frau war. War schon ein Schock für ihn, dass sie jetzt so anders ist. 

Ich: Er! «Er» ist jetzt «anders». Ich finds wichtig, dass wir über Ihren Freund als Mann sprechen. 

Frau: Ja, klar! Aber wissen Sie, ich kannte sie – also ihn – halt noch als «sie». 

Ich: Ach ja…

Ich: Also, ich lese jetzt ein bisschen weiter, ok?

Frau: klar! :-)

Frau: Wohin geht’s denn bei Ihnen? Also werden Sie auch noch ein Mann? 

Ich: Ähm. Ich bin ganz zufrieden mit mir so. Jetzt. Und ich würde wirklich gerne weiterlesen. 

[Lese weiter in dem Buch]

Frau: Also ich habe noch einmal eine Frage. 

Ich: …

Frau: Also haben Sie eine Freundin jetzt oder einen Freund? Weil der Freund aus London, der ist jetzt mit Männern. 

Ich: Ähm. Ja, ich habe eine Freundin. Ich bin glücklich. Ich lese jetzt weiter, ja?

Frau: Klar! :-) 

Frau: Also ich gehe jetzt. Hoffentlich sehen wir uns wieder, war wirklich schön mit Ihnen zu reden. Ich komme auf alle Fälle in diesem KLARA vorbei! 

Ich: Ja klar, die KLARA ist toll. Ciao. :-)

An dem Tag, als die Frau in der Klara vorbeikam, war ich nicht da. Ich hätte ihr sonst vielleicht sagen können, was ich am Rhein nicht gesagt habe. Dass meine «nonbinary Art und Weise» zu lesen, an einem Tisch zu sitzen, einen Kaffee zu trinken, meine Freizeit zu geniessen keine Einladung per se ist, ausschweifende Kommentare über mein Aussehen zu machen. 

Ich bin nicht da, um Erfahrungen von anderen Menschen mit trans Menschen oder Nonbinarys zu verifizieren. Und ich werfe mir wieder einmal selbst vor: Du hättest was sagen sollen. Dabei will ich das eigentlich nicht betonen müssen: Ich bin Sascha. Keine untrainierte Version eines trans-Freundes von dir. Don’t do this, oké?

__________

Die Fotos dieser Serie sind Arbeiten der freiberuflichen Fotografin Anne Gabriel-Jürgens. Sie lebt und arbeitet in Zürich und Hamburg und begleitet Sascha für ein Langzeitprojekt mit dem Titel «Outbetweeninside». Die Fotografin beschreibt die Arbeit als visuellen Dialog mit Sascha. Alle Bilder dieser Artikelserie sind Teil dieser Zusammenarbeit.

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Foto: Anne Gabriel-Jürgens (Bild: Anne Gabriel-Jürgens)

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