Lieber Herr Nationalrat, bitte zeigen Sie Respekt für die Jugend

Christoph Eymann schiesst in einer Kolumne gegen das Stimmrechtsalter 16. Da konnte es sich unsere 18-jährige Praktikantin nicht verkneifen, eine Replik zu schreiben.

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Letzte Woche wurde im Nationalrat überraschend eine parlamentarische Initiative der Basler BastA!-Politikerin Sibel Arslan angenommen. Darin forderte sie das Stimmrechtsalter 16. Das passt Christoph Eymann, LDP-Nationalrat, gar nicht. Er schreibt in der BaZ nichts Geringeres, als dass der Vorstoss ältere Menschen «diskriminiere». Doch wenn hier jemand diskriminiert wird, sind es die Jungen.

Vor allem wittert der 69-jährige Christoph Eymann einen Generationenkonflikt, wo es gar keinen gibt. So stösst ihm die Begründung im Initiativtext sauer auf. Da steht: «Die demografischen Veränderungen bringen es mit sich, dass die Zahl der Stimmberechtigten über fünfzig immer höher wird, was zu einer Verzerrung der politischen Entscheidungen führen kann». Dagegen helfe das Stimmrechtsalter 16.

Christoph Eymanns interpretiert: «Das heisst doch nichts anderes, als dass die Entscheide älterer Menschen korrekturbedürftig seien.» 

Nein, das heisst es nicht. Es heisst nur, dass eine Bevölkerungsgruppe in der Demokratie übervertreten ist und zu grosse Macht bekommt.

Leisten junge Leute etwa nichts?

Tatsache ist: Die Schweizer Bevölkerung wird immer älter. Damit wächst auch die Anzahl Älterer, die wählen und abstimmen – im Gegensatz zu den jungen Wähler*innen. Ihre Meinung in der politischen Landschaft der Schweiz hat deshalb weniger Gewicht. Das ist notabene die Bevölkerungsgruppe, die morgen mit den Entscheiden leben muss, die heute gefällt werden. Dieses Ungleichgewicht kann man mit dem Stimmrechtsalter 16 ausgleichen, mit Diskriminierung der älteren Wähler*innenschaft hat das aber nichts zu tun.

Sind Junge etwa Nutzniesser*innen, die nichts leisten und deshalb die Klappe halten müssen?

Im Gegenteil, wer böse sein will, könnte Herr Eymann selbst Diskriminierung vorwerfen. Und zwar Diskriminierung der Jungen So schreibt er: «Ältere Menschen, die zusammen mit Jungen Partner des Generationenvertrags sind, erfüllen ihre Leistung dieses Vertrages seit längerer Zeit.».  Es sei deshalb undemokratisch, das Verhalten der älteren Generation zu kritisieren. Wie soll ich das verstehen - dass junge Menschen reine Nutzniesser*innen sind, die keine Leistung erbringen und deshalb die Klappe halten sollen?   

Wir werden einmal tiefere Renten haben

Natürlich finanzieren die älteren Bürger*innen uns mit ihren Steuern die Ausbildung, dafür sind wir dankbar. Aber wir geben etwas zurück: Jede*r 16-jährige Lernende bezahlt mit ihrem*seinem kleinen Lohn in die Sozialwerke ein. Wir Jungen finanzieren die Renten der Älteren – obwohl wir genau wissen, dass wir selbst einmal viel tiefere Renten haben werden. Das ist solidarisch, es gehört zum Generationenvertrag. Hat Herr Eymann daran gedacht, als er seine Kolumne schrieb? 

Wir sind auch Nutzniesser*innen!
Bajour

Sowieso sind für Herrn Eymann die meisten der 16- und 17-Jährigen nicht stimmfähig: «Es gibt junge Leute, die sich für Politik interessieren und sich eine eigene Meinung vor Wahlen und Abstimmungen bilden können. Aus meiner Erfahrung aus Schulbesuchen und Gesprächen mit 16-Jährigen trifft dies aber nicht für die Mehrheit der 16- und 17-Jährigen zu», schreibt der 69-Jährige.

Ich habe die Hornkuh-Initiative verfolgt, als ich selbst noch nicht abstimmen konnte.

Sind Sie sicher, Herr Eymann? Dann würden ich (18) und beinahe mein ganzes junges Umfeld zur Ausnahme gehören. Denn: Fast alle 16-und 17-Jährigen, die ich kenne, sind durchaus stimmfähig. Ich selbst habe die Hornkuh-Initiative verfolgt, als ich noch nicht abstimmen konnte. Und über die Erleichterte Einbürgerung von Ausländer*innen dritter Generation wurde in der Schulmensa rege diskutiert. 

Ausserdem müssen sich viele Jugendliche in der Schweiz mit 16 für eine Lehre – also für ihre zukünftige Arbeit – entscheiden. Widersprüchlich? Finde ich auch. Wer für Berufsentscheidungen selbstständig genug ist, kann auch abstimmen und wählen.

Es braucht jung und alt

Natürlich haben ältere Menschen mehr «Lebenserfahrung als Basis für ihre Entscheide». Trotzdem müssen auch sie sich für jede Wahl, für jede Abstimmung neu informieren, denn die Welt ist im steten Wandel. Die Probleme heute sind anders als vor 20 Jahren. Oder hat jemand mit einer weltweiten Pandemie gerechnet, die die Weltwirtschaft erschüttert, wie es zuletzt im 2. Weltkrieg der Fall war? Das alles ist neu und unbekannt, um die Herausforderungen zu bewältigen braucht es Menschen mit Lebenserfahrung. Aber auch solche mit neuen Perspektiven. Es braucht alt und jung.

Das bringt mich schon zu Herr Eymanns letztem Argument. Damit bin ich teilweise einverstanden (ich weiss, das hat jetzt keine*r erwartet). Der Politiker kritisiert, dass Jugendliche mit 16 abstimmen sollen, gleichzeitig aber vom gemilderten Strafrecht profitieren. Zugegeben, das hat was. Wer genug alt für Entscheidungen ist, soll auch für Fehler gerade stehen, ohne dass es dafür mildere Konsequenzen gibt.

Beim Alkohol wiederum verstehe ich Eymanns Problem nicht. Für ihn macht es keinen Sinn, Minderjährige abstimmen, aber keinen Gin Tonic bestellen zu lassen. Ich dagegen finde das gescheit: Hochprozentiger Alkohol ist – speziell in jungen Jahren – schädlich für das Hirn. Mitspracherecht hingegen politisiert und befreit den Geist!

Grosszügig oder überheblich?

Mich dünkt, wenn hier jemand den Generationenvertrag nicht ehrt, ist es der LDP-Politiker selbst. Er denkt, das Stimmrechtsalter 16 gehe auf Kosten der älteren Wählerschaft. Aber das Gesetz  will den Älteren nichts wegnehmen. Es lässt mehr Menschen an der direkten Demokratie teilhaben. Das ist nicht diskriminierend, das ist demokratisch. 

Oder wie BaZ-Leserin Yolanda Hecht in den Leserkommentaren schreibt: «Es ist selbstgerecht und überheblich, dass Leute der älteren Generation sich grosszügig fühlen, wenn sie Jugendlichen keine Mitbestimmung erlauben.» 

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Leser*innen Kommentar von Baz online.

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Valerie aka «Zeisi» hat als Praktikantin bei Bajour gestartet, dann ein Studium begonnen und arbeitet nun nebenbei als freie Journalistin bei der bz sowie bei Bajour als Briefing-Schreiberin. Sie ist während der Vorfasnachtszeit – laut ihr das ganze Jahr – schlecht erreichbar, ist aber ständig unterwegs.

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