«Es ist wichtig, dass man kein fertiges Bild herstellt»

Zu wenig Platz für Experimente, zu viel Wert der Rendite: Die Architektin Barbara Buser kritisiert die ökonomischen Zwänge der Stadtentwicklung. Ein Gastbeitrag von Lukas Gruntz von Architektur Basel.

Architektin Barbara Buser im Gespräch
(Bild: Armin Schärer / Architektur Basel)

Dieses Interview erschien zuerst bei Architektur Basel. Das Kollektiv von jungen Architekt*innen dokumentiert und kommentiert das Architekturgeschehen in und um Basel. Architektur Basel arbeitet ehrenamtlich, ist unabhängig und werbefrei.

Das ist der vierte Teil des Gesprächs mit Barbara Buser. Auf architekturbasel.ch sind bereits erschienen:

Teil 1 «Schau dir mal an, was Versicherungen für Paläste bauen!» Teil 2 «Das lernt man an der ETH: Möglichst originell und anders muss es sein!» Teil 3 «40 Vogelhäuschen. Das fanden die Behörden gar nicht lustig»

Basel steht vor einem Entwicklungsschub. In den kommenden Jahren werden zahlreiche Transformationsareale, namentlich das Klybeck, Rosental, Lysbüchel oder Wolf, entwickelt. Im vierten und letzten Teil des Monatsinterviews sprechen wir mit Barbara Buser über städtebauliche Tendenzen in Basel. Sie kritisiert dabei die ökonomischen Zwänge der Stadtentwicklung: «Es gibt so viel Geld, das angelegt werden muss und Rendite bringen soll. Rendite für die Anleger*innen – aber nicht Stadtrendite.» Ein Gespräch über Partizipation, Negativzinsen, preisgünstiges Wohnen, Umnutzungen, Immobilien Basel-Stadt und Hans-Peter Wessels.

Inwiefern muss oder soll Stadtentwicklung einem partizipativen Entwicklungsprozess unterliegen? Welchen Mehrwert bringt das – insbesondere in einem direktdemokratischen Kontext?

Partizipation ist eine schwierige Angelegenheit, da die Menschen eigentlich nicht wirklich partizipieren können, und zwar im Sinn von Teilhaben. Sie können zwar Ideen und Wünsche einbringen – die dann aber oft in der Schublade verschwinden. Man muss aufpassen, dass Partizipation nicht als Deckmantel benutzt wird, um die Projekte etwas einfacher durchzubringen. Manchmal wäre es mir fast lieber, man würde nicht so grosse Übungen punkto Mitwirkung machen. Ein Problem ist auch, dass immer dieselben an diesen Verfahren mitwirken – und da zähle ich mich auch dazu! Das Problem ist auch hier: Es gibt so viel Geld, das angelegt werden muss und Rendite bringen soll. Rendite für die Anleger – aber nicht Stadtrendite.

Was genau verstehst du unter dem Begriff der «Stadtrendite»?

Es geht um die Frage, welche Rendite ein Projekt dem Quartier, der Stadt, der Allgemeinheit bringt? Wir sind die Stadt – und wir wollen hier leben. Wenn man ein Quartier einfach niederwalzt und neu aufbaut, braucht es ein bis zwei Generationen, bis es wirklich lebt. Ausserdem fehlen bei einer Neuentwicklung meistens die Nischen, also Orte, wo Neues, Unerwartetes entstehen kann, wo man Dinge ausprobieren kann. Nischen könnte man aber eigentlich problemlos einplanen. Es gäbe dann halt etwas weniger Rendite.

«Wenn man ein Quartier einfach niederwalzt und neu aufbaut, braucht es ein bis zwei Generationen, bis es wirklich lebt.»
Barbara Buser

Beim Thema Partizipation hört man oft die Kritik, dass dabei lediglich eine gut gebildete Bevölkerungsschicht repräsentiert wird. Ausserdem könnte man ja viele der von dir genannten Rahmenbedingungen bei einer Arealentwicklung im Bebauungsplan festschreiben lassen. Wieso passiert das kaum?

Ich denke, man ist im Moment auch ein bisschen überfordert mit der Menge all dieser Areale. Wir haben zehn Jahre gebraucht, um das Gundeldinger Feld aufzubauen, und ebenfalls zehn Jahre für das Walzwerk, und jetzt soll da innert weniger Jahre ein Bebauungsplan nach dem anderen gemacht werden. Sobald der Wohnanteil und die Anzahl Bruttogeschossfläche festgeschrieben sind, ist das ein ehernes Gesetz. Dann gibt es kein Zurück mehr. Ich plädiere für schrittweises Entwickeln. Nicht alles auf einmal, sondern Schritt für Schritt. Im Klybeck könnte man die bestehenden Gebäude zuerst einmal zwischennutzen und schauen, wie sich das Areal entwickelt, wie die Öffnung angenommen wird, wie sich die neuen Bewohner*innen integrieren. Viele Menschen sind aber auch schlicht überfordert mit der Komplexität der Thematik und bringen sich deshalb nicht ein.

Keine Rendite, nur Journalismus.
Bajour

Beim Klybeck argumentieren die Eigentümer ja mitunter damit, dass sie dafür sorgen wollen, dass unser aller Pensionskassengeld gut und rentabel angelegt wird. Da beisst sich die Katze in den Schwanz oder?

Dieses Problem hat man sich 1986 eingebrockt. Die Suppe löffeln wir jetzt aus. Es gab schon damals warnende Stimmen. Das Umlageverfahren der AHV ist als System viel intelligenter.

«Beim Bauen ist es nicht wie im Supermarkt, wo man in der Aktionswoche dasselbe Produkt zum halben Preis kaufen kann, oder 3 für 2 bekommt.»
Barbara Buser

Inzwischen ist es in Basel Common Sense das bei Arealentwicklungen jeweils 30 Prozent preisgünstiges Wohnen entstehen soll. Ist das sinnvoll?

Es sollte besser gemeinnützig heissen. Die 30 Prozent sind ein guter Anfang, aber eigentlich sollte das Land der Allgemeinheit gehören. Dann könnten wir mit dem Baurechtszins beispielsweise die Altersvorsorge finanzieren. Das wäre ökonomisch sinnvoll.

Und was heisst preisgünstiges Wohnen?

Preisgünstig ist Vergleichssache. Was ist günstig? Und was nicht? Heute ist das Bauen einfach teuer. Gesetze und Normen stellen hohe Anforderungen. Am Anfang kann man einen Neubau auch als gemeinnütziger Bauträger nicht viel günstiger vermieten, ausser wenn man mit Subventionen arbeitet. Es ist eine Illusion zu glauben, dass man dasselbe viel preisgünstiger bauen kann. Beim Bauen ist es nicht wie im Supermarkt, wo man in der Aktionswoche dasselbe Produkt zum halben Preis kaufen kann, oder 3 für 2 bekommt.

Architektur Basel-Redaktor Lukas Gruntz im Gespräch mit Barbara Buser im Baubüro in situ.
Barbara Buser im Gespräch mit Architektur-Basel-Redaktor Lukas Gruntz im Baubüro in situ. (Bild: Armin Schärer / Architektur Basel)

Du hast verschiedenen Industrieareale, das Gundeldinger Feld oder das Walzwerk in Münchenstein, erfolgreich transformiert. Wie bist du vorgegangen?

Ich erkläre das gerne anhand von einem Beispiel: Eine Familie hat sich in den 1940er-Jahren ein Einfamilienhaus bestehend aus Küche, Bad, einem Wohnzimmer, einem Eltern- und einem Kinderschlafzimmer gebaut. Geheizt wurde mit einem Holzofen. Im Laufe der Jahre wurde die Zentralheizung eingebaut. Danach kam die Garage dazu. Dann wurde der Keller ausgebaut. Und so weiter. Alle fünf bis zehn Jahre wurde etwas dazu gebaut, wie es halt finanziell möglich war.

Es ist eine schweizerische Tugend immer alles richtig und korrekt machen zu wollen. Aber das ist ein teurer Weg.
Barbara Buser

Und was bedeutet das bezogen auf unsere Gegenwart und die Transformationsareale?

Heute hat man den Anspruch, dass all diese Dinge von Anfang an da sein müssen, auch wenn wir sie uns gar nicht leisten können. Im Gundeldinger Feld haben wir immer nur das Nötigste gemacht. Dadurch konnten wir die günstigen Mieten halten. Wenn wir am Anfang einen Generalplan gemacht hätten, mit allem, was zu tun gewesen wäre, hätten wir uns das nie leisten können. So aber haben wir Schritt für Schritt das gemacht, was ökonomisch machbar war. Bei einer Umnutzung kann man das. Bei einem Neubau ist es schwieriger. Ausser man macht es wie Heinrich Degelo bei seinem Atelierhaus, wo die Künstler*innen ihre Wohnungen selbst ausbauen können. Bei einer Heizung, die ich erst in 10 Jahren einbaue, habe ich keine Abschreibungen und Betriebskosten, dafür vielleicht ein bisschen kalt. Es ist eine schweizerische Tugend immer alles richtig und korrekt machen zu wollen. Aber das ist ein teurer Weg.

Wenn ich das auf die kommenden Arealentwicklungen in Basel beziehe, würdest du also empfehlen, möglichst viel von der bestehenden Bausubstanz zu erhalten?

Ja, absolut. Möglichst viele Bauten zu erhalten, wäre wichtig. Daneben bräuchte es neue Kristallisationspunkte, beispielsweise einen Bau auf Stützen, wo sich darunter ganz unterschiedliche Nutzungen einnisten könnten. Beispielsweise ein Marktplatz. Es ist wichtig, dass man kein fertiges Bild herstellt. Leider entspricht das nicht unserer Gepflogenheit und dem Instrument des Gestaltungsplans. Man könnte zum Beispiel an drei Orten anfangen, wie wir das im Walzwerk gemacht haben. So kann man ein Areal stabilisieren. Beim Walzwerk haben sich die drei Kerne weiterentwickelt, bis am Ende das ganze Areal vermietet und neu genutzt wurde. Der Prozess hat zehn Jahre gedauert. Wir haben mit jedem neuen Mieter diskutiert, was für ihn baulich wirklich notwendig ist, und was das kostet – und nicht von Anfang an die volle Ausstattung angeboten.

«Die Stadt muss ganz klar Forderungen stellen. Die Eigentümer wollen ja ihrerseits mehr Ausnützung, also kann man da auch Gegenforderungen stellen.»
Barbara Buser

In Zeiten von billigem Geld und Negativzinsen ist der Druck auf die Bodenpreise und damit die Erträge von Immobilien enorm. Das widerspricht deinem Konzept der langsamen, sanften Arealentwicklung mit bescheidenen finanziellen Investitionen. Wie könnte das – beispielsweise beim Klybeck – dennoch gelingen?

Die Stadt muss ganz klar Forderungen stellen. Die Eigentümer*innen wollen ja ihrerseits mehr Ausnützung, also kann man da auch Gegenforderungen stellen. Das alte Warteck ist ein wunderbares Beispiel dafür: Roger Diener hatte damals vorgeschlagen, dass bei der Neubebauung ein Stockwerk höher gebaut werden dürfe, dafür aber das Sudhaus erhalten bleiben müsse. So einfach! Niemand hat etwas verloren. Alle haben nur gewonnen. Das war genial.

Ein anderes Beispiel ist die Markthalle beim Bahnhof. Was hast du da besser gemacht als die Vormieter? Und hilft dir ein solcher Erfolg für weitere Projekte?

Wir haben einiges anders gemacht als unsere Vorgänger*innen. Wir mussten am Anfang noch keine volle Miete erwirtschaften. Wir hatten die Chance, etwas ausprobieren zu können. Und wir sind in ganz kleinen Schritten vorgegangen, haben immer den Weg der geringsten Investition gesucht, weil wir ja gar kein Geld hatten. So können auch Fehler korrigiert werden, bevor sie teuer werden. Wir waren, sind und bleiben ein Team von Idealist*innen. Wir haben zwar eine ganz gewöhnliche AG gegründet, aber wir wollen etwas für die Stadt leisten, eine Stadtrendite anstelle einer privaten Rendite erarbeiten: die Markthalle soll wie früher zur regionalen Drehscheibe für Lebensmittel werden, aber neu auch zur Plattform für alle Themen, die mit der Ernährung zusammenhängen. Die Markthalle ist zu einem öffentlichen Treffpunkt und Freiraum geworden, ohne Konsumzwang, mit gratis WLAN. Das Bedürfnis nach solchen Räumen ist gross, es wird von Privaten aber meistens nur im Zusammenhang mit Konsum abgedeckt.

Der Erfolg ist also hilfreich?

Ja, der Erfolg ist hilfreich: man glaubt uns nun, dass es möglich ist: mit dem KLARA haben wir eine ebenso erfolgreiche Tochter gegründet, die im Kleinbasel die Clarastrasse belebt. Und wir werden voraussichtlich in Winterthur eine zweite grosse Markthalle realisieren. Wir haben mit unserem Konzept den Zuschlag für die Halle 53 auf dem Sulzerareal erhalten und sind nun auf Investorensuche. Dank der Markthalle und KLARA können wir glaubhaft aufzeigen, dass es ökonomisch funktioniert. Das Konzept der Markthalle soll aber nicht einfach kopiert, sondern mit den Akteur*innen vor Ort weiterentwickelt werden, sodass es eine ganz spezifische Markthalle gibt für Winterthur.

Barbara Buser fordert mehr «Stadtrendite».

Eine Frage punkto Umnutzung: Demnächst soll das ehemalige Felix Platter-Spital zu Wohnraum ungenutzt werden. Welches Potential hat das Projekt?

Ich sehe das Projekt sehr positiv, auch wenn wir den Wettbewerb leider nicht gewonnen haben. Das ist Künstlerpech. Wir machen zu wenig Architektur mit grossem A. Für mich ist die Hauptsache, dass das Gebäude nun erhalten bleibt, und bewiesen wird, dass man eine solche Struktur umnutzen kann. Da steckt ja auch unglaublich viel Beton beziehungsweise graue Energie drin. Beim Felix Platter-Spital waren die ausreichend hohen Geschosse und die mehr als genügende Bodenbelastung ein Glücksfall. Das macht die Umnutzung überhaupt möglich. Man kann bei einem Gebäude ja viele Dinge abändern, aber spätestens bei den Geschosshöhen wird es schwierig. Das Gebäude ist punkto Flexibilität genial. Ich freue mich jetzt schon darauf, das umgebaute «Schiff» zu sehen!

«Wir machen zu wenig Architektur mit grossem A.»
Barbara Buser

Die Basler Regierung wollte das Spital ja ursprünglich abreissen lassen. Ich erlaube mir die Frage: Wie bist du mit der Arbeit der rotgrünen Regierung zufrieden? Im Herbst sind ja bekanntlich Wahlen…

Hans-Peter Wessels hat einen heroischen Kampf gegen die Autolobby geführt. Leider hat er zu wenig für die Velofahrer und Fussgänger gemacht. Ich wünsche mir, dass der Langsamverkehr in Zukunft stärker berücksichtigt wird. Beispielsweise ist die Veloquerung vom Gundeli in die Innenstadt eine Katastrophe. Wenn man die Leute dazu animieren möchte, öfter das Fahrrad zu nutzen oder zu Fuss zu gehen, dann müssen die Flächen anders zugeteilt werden.

Wie siehst du die Rolle von Immobilien Basel-Stadt?

Mit Immobilien Basel-Stadt habe ich sehr gute Erfahrungen gemacht. Sie haben sich ohne grosses Zögern auf das Experiment der Zwischennutzung eingelassen. Es ist ein wichtiges Anti-Verschwendungsprinzip, dass man Räume nicht leerstehen lässt. Dass Immobilien Basel-Stadt so flexibel sind, finde ich sehr gut. Natürlich könnten sie noch aktiver sein, mehr Land kaufen, mehr selber bauen, vor allem im Bereich des sozialen Wohnungsbaus.

In einem Interview hast du einmal gesagt: «Mir geht es um die Beziehung zwischen Mensch und Gebäude. Die Grundfrage ist: Macht ein gutes Gebäude gute Menschen?» Wie siehst Du die Frage heute? Macht ein gutes Gebäude gute Menschen?

Ich weiss es immer noch nicht. Es gibt auf jeden Fall Wechselwirkungen zwischen Menschen und Gebäuden.

Das Miteinander-Leben-Wollen hängt nicht von der Architektur ab, sondern vor allem vom Willen der Bewohner.
Barbara Buser

Das sehe ich auch so. Aber hat gute Architektur einen positiven Einfluss auf uns Menschen?

Sicher haben gute, natürliche Materialien einen Einfluss auf die Gesundheit der Menschen. Und ebenso wichtig sind die Besitzverhältnisse des Bodens und der Gebäude. Wahrscheinlich ist das sogar wichtiger als die Architektur. In einem Wohnblock kann man aneinander vorbei leben oder miteinander leben. In einer Einfamilienhaussiedlung kann man eine gute Nachbarschaft pflegen oder eben nicht. Das Miteinander-Leben-Wollen hängt nicht von der Architektur ab, sondern vor allem vom Willen der Bewohner*innen. In den letzten Jahren hat es sich erwiesen, dass es neben den privaten Wohnräumen auch öffentliche Freiräume braucht, wie zum Beispiel das Gundeldinger Feld.

Aber hat das mit guter Architektur zu tun?

Ich weiss es immer noch nicht.

Eine letzte Frage: Was beschäftigt dich bei deiner Arbeit im Moment besonders?

Das Thema Abfall, und daran speziell die Bauabfälle, die einen Drittel der Abfallmenge ausmachen. Wir sollten Abfall möglichst vermeiden oder wenigstens durch Wiederverwendung reduzieren! Am Wirkungsvollsten ist es, wenn man weniger Gebäude abreisst. Und weil das manchmal unumgänglich ist, sollten bei jedem Neubau zehn Prozent gebrauchte Bauteile verwendet werden. Das ist zwar nicht ganz einfach, aber hat noch viel Potential.

Herzlichen Dank für das ausführliche Gespräch.

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