Es ist zum Weinen: Baselbiet nimmt Armutsbetroffenen Geld weg

Die SVP Schweiz spielt seit Jahren gezielt Armutsbetroffene gegeneinander aus. Im Landkanton hat sie damit Erfolg: Menschen am Existenzminimum bekommen jetzt noch weniger Sozialhilfe.

Kind
Wenn Mama weniger Geld hat, trifft das auch die Kinder. (Bild: Luke Southern / Unsplash)

Christoph Blocher dürfte sich über die Abstimmung im Baselbiet freuen: Sein Mobbing von Armutsbetroffenen hat gefruchtet. Wer länger als zwei Jahre Sozialhilfe bezieht, bekommt im Kanton Baselland 40 Franken weniger pro Monat. Die Bevölkerung hat das entsprechend revidierte Sozialhilfegesetz mit 64 Prozent angenommen.

Für Familien, die jetzt schon am Limit leben, ist das viel. Für 40 Franken bekommt die Tochter eine neue Jacke, der Sohn ein paar Turnschuhe. Zum Weinen ist aber auch die Botschaft, welche die Baselbieter*innen aussenden: Wer länger als zwei Jahre Sozialhilfe bezieht, ist selber Schuld.

Wenn sich die Armutsbetroffenen gegenseitig misstrauen, merken sie nicht, dass die Reichen immer reicher werden.

Diese missgünstige Falschinformation haben wir Christoph Blocher verdanken. Der reiche SVP-Patron war es, der 1996 im Albisgüetli behauptete, es würden «Steuergelder für Drückeberger und Sozialschmarotzer verschleudert».

Seither läuft eine gezielte Kampagne von rechts gegen Armutsbetroffene in der Schweiz. Man spielt Menschen am Existenzminimum gegen Menschen am Existenzminimum aus. Macht Sinn: Wenn sich die «kleinen Leute» gegenseitig misstrauen, merken sie nicht, dass die Reichen immer reicher werden.

Der SVP-sche Sozialabbau läuft, mit Hilfe anderer bürgerlicher Parteien, auf verschiedenen Ebenen. Als erstes baute man bei den Sozialversicherungen ab. So dass mehr Menschen in der Sozialhilfe landeten.

Danach nahm man sich die Sozialhilfe in den Kantonen und Gemeinden vor. So verfasst die SVP 2015 ein Positionspapier mit dem Titel «Missbrauch und ausufernde Sozialindustrie stoppen». Verschiedene SVP-Exponent*innen reichen ähnliche Vorstösse in fünf Kantonen aus. Das Ziel: Nur, wer «integrationswillig, motiviert und engagiert» ist, soll den Grundbedarf erhalten. Das sind rund 1000 Franken.

Im Baselbiet war es SVP-Landrat Peter Riebli, der die entsprechende Motion eingereicht hat. Er wollte den Grundbedarf um 30 Prozent senken und kam 2018 damit durch den Landrat: Mitte-Regierungsrat Anton Lauber hat danach 2020 eine entsprechende Vorlage ausgearbeitet.

Rieblis radikale Forderung ist zum Glück krachend gescheitert. Der Widerstand aus sozialen Organisationen bis hin zur Kirche war so gross, dass Regierungsrat Lauber eine neue Vorlage ausarbeiten musste. Das ist eben die, welche die Bevölkerung am 15.Mai nun angenommen hat.

Die jetzige Gesetzesrevision ist wesentlich ausgewogener als Rieblis ursprüngliche Idee: So gibt der Kanton unter dem Strich in Zukunft nicht weniger, sondern mehr Geld für Sozialhilfebeziehende aus. Und Menschen, die sich mittels Ausbildung bemühen, bekommen sogar mehr Geld als vorher (100 Franken). Der Kompromiss ist dementsprechend breiter abgestützt: Die bürgerlichen Parteien waren alle dafür, die GLP beschloss Stimmfreigabe. Nur die SP und die Grünen sowie ein Komitee aus sozialen Organisationen plus katholische Kirche waren dagegen.

Ob man einen guten Job hat, hängt vom Elternhaus ab.

Aber: Blochers traurige, missgünstige Kernbotschaft, die bestimmte auch diesen Gesetzesvorschlag: Das Baselbiet unterscheidet von jetzt an zwischen «guten Sozialhilfebzüger*innen», die sich bemühen. Und «schlechten Soziahilfebezieher*innen», die angeblich zu faul. Die «Guten» werden von jetzt an belohnt, die «Schlechten» bestraft.

Dieses Gegeneinander-Ausspielen ist deshalb so fies, weil es einfach nicht stimmt. Die meisten Menschen am Existenzminimum können nichts dafür. Es gibt schwarze Schafe, die keine Lust zum Arbeiten haben, klar. Aber die sind in der Minderheit. In der Regel ist es so: Ob man einen guten Job hat, hängt vom Elternhaus ab.

Kinder von zufriedenen, gesunden und erfolgreichen Eltern werden später höchstwahrscheinlich selbst zufrieden, gesund und erfolgreich. 

Wer dagegen das Pech hat, Eltern mit wenig Bildung und Geld zu haben, ist später wahrscheinlich selbst armutsbetroffen. 

Auch wenn viele Schweizer*innen meinen, Erfolg sei eine Frage der Leistungsbereitschaft: Sorry, ihr könnt nicht viel für euren Erfolg. 

Mit dem neuen Sozialhilfegesetz wird die Realität ignoriert. Auf dem Buckel derer, welche leider schlechte Karten im Leben gezogen haben. Und die SVP ist noch nicht fertig: Die Baselbieter Partei hat bereits angekündigt, sie wolle die Sozialhilfe weiter senken. 

Initiative für Initiative kratzt sie am gutschweizerischen Konsens, der bis anhin lautete: Die Starken schauen zu den Schwachen. Wenn die SVP so weitermacht, gilt bald nur noch das Umgekehrte: Alle gegen unten. Aber es ist nicht überall so traurig wie im Baselbiet: In Zürich, Solothurn und St.Gallen scheiterte die SVP mit ähnlichen Vorstössen.

Basel Briefing

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Kann: alles in Frage stellen

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Liebt an Basel: Mit der Familie am Birsköpfli rumhängen und von rechts mit Reggaeton und von links mit Techno beschallt zu werden. Schnitzelbängg im SRF-Regionaljournal nachhören. In der Migros mit fremden Leuten quatschen. Das Bücherbrocki. Die Menschen, die von überall kommen.

Vermisst in Basel: Klartext, eine gepflegte Fluchkultur und Berge.

Interessensbindungen:

  • Vorstand Gönnerverein des Presserats
  • War während der Jugend mal für die JUSO im Churer Gemeindeparlament. Bin aber ausgetreten, als es mit dem Journalismus und mir ernst wurde.

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